Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
Ironie des Schicksals, hörte sie eine innere Stimme flüstern, an der Pforte zum eigenen Zuhause dahinzuscheiden, nachdem sie sich den ganzen langen Weg durchgebissen hatte. Mit allerletzter Kraft holte Boudicca tief Luft, so wie sie es bei den Druiden gelernt hatte, und ließ einen lauten Ruf ertönen. Und dann ging alles ganz schnell – Stimmen, Fackeln und wohlige, wohlige Wärme.
»Nehmt ihn«, murmelte sie, als man sie auf das Bett legte. »Kümmert euch um meinen Sohn.« Sie hörte jemanden rufen, konnte aber nichts verstehen, fühlte nur warme, behagliche Dunkelheit.
Boudicca hob die Hand, verwundert darüber, wie schwer ihr jede Bewegung fiel. Ihre Erinnerung war verworren, halb Albtraum, halb Vergessenheit. Prasutagos war bei ihr gewesen, die sonst so ruhigen Züge zerquält vor Angst. Und da dämmerte ihr, wie sie irgendwann ganz leise seine heißen Tränen auf ihrer kalten Haut gespürt hatte.
Ich war krank, dachte sie im Stillen. Dabei bin ich nie krank. Komisch …
»Sie wacht auf!«, rief jemand. Im Hintergrund hörte sie die vertrauten Geräusche der Feste – eine Kuh muhte, irgendwer pfiff vor sich hin, und die Hühner gackerten vor der Tür.
»Trink, meine Liebe.« Ein starker Arm umfasste ihre Schultern, stützte sie auf, und brav schluckte sie die Flüssigkeit, die man ihr an die Lippen hob – warme Milch mit Weidenrinde, ein ungewohnter Geschmack, den sie, soweit sie sich erinnerte, gar nicht kannte.
Bei dem Gedanken an Milch fingen ihre Brüste an zu pochen. Ihr schlaffer Leib schmerzte, und sämtliche Glieder taten ihr weh, hatten sich vom quälenden Fieber noch nicht erholt. Plötzlich dämmerte ihr, dass sie ein Geräusch vermisste, und sie riss schlagartig die Augen auf – sie hörte keinen Säugling weinen.
Sie versuchte zu sprechen, schluckte, versuchte es noch einmal. »Wo ist mein Sohn?«
Stille folgte. Eine Stille, die sich viel zu lange zog. Sie blickte in das Gesicht der alten Nessa, das sich über sie beugte, sah dicke Tränen auf ihren Wangen.
»Er war zu klein, meine Liebste, und es war zu kalt für ihn. Er hat nur einen Tag gelebt.«
»Gelobt sei Brigantia, dass du überlebt hast«, fügte eine der Dienerinnen aufmunternd hinzu. »Wir dachten, wir würden auch dich verlieren.«
»Prasutagos?« Mit schwacher Stimme fragte sie nach ihrem Gemahl.
»Er hat den Jungen nach seinem Bruder benannt – Cunomaglos – und ihn auf dem Grabfeld neben seinen Verwandten begraben.«
»Wo ist der König jetzt?« Das Sprechen fiel ihr schwer.
Diesmal zog sich die Stille nicht so lange. »Als klar war, dass du überleben würdest, nahm er zwei Männer und ritt los, um zu sehen, ob noch jemand dort draußen in Not war und Hilfe brauchte.«
Klar. Und mich lässt er allein. Allein, in einer noch größeren Stille als sonst, dachte Boudicca. Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Was gab es auch zu sagen?
»Meine Herrin – für dich …«
Lhiannon drehte sich um und erhaschte gerade noch einen flüchtigen Blick auf eine kleine Hand, die ihr einen ziemlich verwelkten Strauß Astern entgegenstreckte. Sie spähte um den Türpfosten herum, um zu sehen, wem die Hand gehörte. Doch da errötete das Kind, ließ den Strauß fallen und flitzte davon.
»Warum bleiben sie nicht einmal stehen, damit ich mich bedanken kann?« Sie seufzte und sah sich nach einem Gefäß um, in das sie die Blumen stellen könnte.
»Ich mach das schon.« Rianor nahm aus einem Tongefäß den Strauß, den sie tags zuvor bekommen hatte, und stellte die Astern hinein. Dabei wich er die ganze Zeit ihren Blicken aus, wie sie plötzlich bemerkte.
Nach der magischen Reise in die Jenseitige Welt, die Camadunon gerettet hatte, war sie in einen traumlosen Schlaf gesunken und nur wach geworden, um zu essen, ehe sie dann erneut in Schlaf gefallen war. Bis sie wieder so weit bei sich war, um alles um sich herum wahrzunehmen, waren Wochen vergangen. Seither – wie auch in den langen Wochen davor – hatte sie jeden Morgen Geschenke erhalten. Heute waren es Astern, tags zuvor hatte ihr jemand einen Strauß aus gelbbraunen und ockerfarbenen Zweigen gebracht. Während sie in einem göttergleichen, bleiernen Schlaf gelegen hatte, für den ihn das Bauernvolk eindeutig hielt, war der Sommer vorübergezogen.
Sie selbst deutete ihren Zusammenbruch als die unvermeidliche Folge von Hunger und Schrecken, die sie an der Festung der Großen Steine hatte erleiden müssen. Und natürlich war er die Folge ihres Liebesleids … sie
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