Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
hätte nicht gedacht, dass dieses Leid, das Körper und Seele alle Kraft raubte, so schwer krank machen konnte. Den Schmerz über Ardanos’ Verlust hatte sie noch nicht verwunden, aber sie war sehr darauf bedacht, wenigstens den halben Tag zu überstehen, ohne eine Träne vergießen zu müssen.
»Sag den Kindern, dass ich mich sehr darüber freue.« Langsam kam sie wieder zu Kräften und stellte fest, dass sie sich über die einfachsten Dinge freute – den Geschmack frischer Milch, die Farben der herbstlichen Blätter. »Wenn sie mich besuchen wollen, dann sind sie herzlich willkommen.«
»Sie haben große Achtung vor dir, meine Herrin …«, sagte Rianor sanft. »Für sie bist du die weiße Frau, die sich in eine Wolke verwandelt hat, um uns vor den Römern zu retten, und sie fürchten sich vor dir.«
»Nun, dann solltest du sie beruhigen«, sagte sie säuerlich. »Wir Druiden sind schließlich nur Diener, keine Götter.«
»Natürlich, Lhiannon, meine Herrin«, antwortete er und errötete, als er ihrem Blick begegnete. Sie bemerkte in seinen Augen die gleiche scheue Ehrfurcht, mit der die jungen Schüler damals auf Mona die Hohepriesterin betrachtet hatten, als diese während des Rituals die Macht der Göttin in sich aufgenommen hatte.
Ach, du liebe Güte! Sie hatte zwar damit gerechnet, dass sich um den magischen Nebel, der die Festung gerettet hatte, allerlei Gerüchte ranken würden, aber ihr war nicht klar gewesen, dass ihre lange Genesung diese nur noch mehr bestärken würde.
»Die Bauern aus der Gegend sind zu mir gekommen«, sagte er. »Sie wollen gern ein Haus für dich bauen auf dem Hang, nahe der Quelle der Göttin Cama. Sie würden sich geehrt fühlen, wenn du dir hier dein Heim einrichtest …«
Als ihre Göttin und ihr Schutzgeist, dachte Lhiannon und zog ein schiefes Gesicht. Mit Rianor als Oberpriester meiner Kultgemeinschaft …
Sie schüttelte den Kopf. Sie brauchte Ruhe, keine Verehrung. Hierzubleiben wäre völlig falsch. Aber der Gedanke, nach Mona zurückzukehren, wo sie alles nur an Ardanos erinnern würde, ließ ihr Herz erneut bluten.
»Ich kann nicht bleiben«, sagte sie mit sanftem Ton. »Alle, die einer Heilung bedürfen, schicken wir auf den Tor. Ich würde den Winter gern zurückgezogen auf Avalon verbringen, und danach sehen wir weiter …«
»Wir müssen dringend Vorräte sammeln. Und das Haus muss winterfest gemacht werden. Aber das hat noch ein wenig Zeit.« Seine Miene erhellte sich. »Ich werde das alles in deinem Namen veranlassen, meine Herrin.«
Die Tage vergingen, und Boudiccas Kräfte kehrten zurück, obgleich aus ihren Brüsten noch immer Milch und aus ihren Augen noch immer Tränen flossen. Hatte der Hügelgeist ihrem Kind das Leben genommen? Oder war es einfach so passiert, wie Dinge im Leben eben so passierten? Jeder war eifrig darum bemüht, sie daran zu erinnern, dass es in jeder Familie mehr Kinder gab, die starben als überlebten. Doch immer wieder zu hören, dass sie noch jung war und weitere Kinder haben würde, schmerzte sie umso mehr. Sie hätte lieber irgendwem oder irgendwas dafür die Schuld gegeben, als sich damit abfinden zu müssen, dass der Verlust ihres Kindes überhaupt nichts zu bedeuten hatte.
Ihr Gemahl blieb in der Festung, die er nahe der Küste erbaute. Es kam ihr vor, als wolle er sich nun, da er keinen überlebensfähigen Sohn zu zeugen vermocht hatte, wenigstens mit einer wehrhaften Festung unsterblich machen.
Vielleicht war das Kind ja als Opfer angenommen worden, dachte sie bei sich, denn im weiteren Verlauf der Jahreszeit zeigten sich die Himmelsgeister besänftigt. Die Wolken verzogen sich, und der schlammige Boden trocknete. Auf ein paar wenigen, günstig gelegenen Hügeln gab es sogar eine kleine Ernte. Boudiccas Lebensgeister wollten dennoch nicht erwachen. Und so schlug Nessa ihr vor, sie solle die Heilige Quelle besuchen gehen, was sie zunächst jedoch aus einem unbestimmten Gefühl heraus ablehnte.
Zurückzukehren an jenen Ort, an dem ihre Ehe eigentlich begonnen hatte, an dem sie so voller Hoffnung und so von Ruhe erfüllt gewesen war, kam ihr vor wie ein Frevel. Doch je mehr sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass die Göttin der Heiligen Quelle ihr Unrecht und Leid angetan hatte. So viel hatte sie ihr versprochen und am Ende alle Versprechen gebrochen. Ja, ich sollte die Quelle noch einmal besuchen, dachte sie bitter. Sie hatte dem Geist der Quelle einiges zu sagen.
An einem sonnigen Tag, als ein
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