Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
viele Dinge im Schlaf – ihr totes Kind ebenso wie die Samen für die Ernte im kommenden Jahr.
In den ersten Monaten in Ramshill hatte sie sich oft gewünscht, sich gleichermaßen unter eine alles tilgende Decke zu legen, ohne zu denken, ohne sich zu bewegen, so lange, bis alle Empfindungen verschwunden wären. Selbst die seltenen Besuche ihres Gemahls hatten sie nicht aus dieser Trägheit reißen können. Allein Bogle hatte sie zu erheitern vermocht. Er hatte sie mit der Welt der Lebenden verbunden, indem er den zotteligen Kopf unter ihre Hand schob, um gestreichelt zu werden, oder ihr irgendwelche besabberten Dinge in den Schoß fallen ließ, damit sie sie warf. Dann musste sie manchmal sogar lachen.
Nun sah sie ihm zu und lächelte, während er über den Weg an einer Reihe kahler Eichen vorbeisauste und wie wild bellte.
»Da kommt jemand«, sagte Temella, als der Hund wieder kehrtmachte und ihnen entgegensprang.
»Bogle! Ruhig!« Boudicca pfiff, damit er innehielt, und er gehorchte, tapste nun langsamer dahin, knurrte leise und wedelte brav mit dem Schwanz. Er war ein wenig verunsichert, nicht verängstigt oder erschrocken. Aber wie sollte er auch in seinem jungen Alter den Unterschied kennen zwischen einer echten Gefahr und etwas, das einfach nur neu und unbekannt war? Dennoch war es ziemlich unwahrscheinlich, dass bei diesem Wetter irgendein Feind unterwegs war, vor allem jetzt, da das Land sicher unter der schützenden Hand Roms stand.
Doch kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, erschienen die Fremden auch schon – der Rüstung nach Römer, die in geordneten Reihen entlang der Bäume marschierten. Als sie näher kamen, erkannte sie Pollio mit seinem Begleittrupp, alle auf heimischen Pferden, in deren zotteligen Fellen dick der Schnee hing.
»Wie schön, dich zu sehen, meine Liebe!«, rief er, und sein Atem formte weiße Wölkchen in der kalten Luft. »So bald hätte ich gar nicht damit gerechnet! Ich war auf dem Weg zur Fähre – ein Auftrag führt mich ins Land der Briganten – und habe es bedauert, keine Zeit zu haben, um meine Reise in Eponadunon zu unterbrechen. Bist du und dein Gemahl hier in der Gegend zu Besuch?« Er hielt neben Boudicca an.
»Der König ist in Eponadunon«, sagte sie tonlos. »Ich wohne hier in Ramshill.«
Seine dunklen Augen blickten noch dunkler. »Tatsächlich? Dann ist das Glück mir hold.«
Sie hob eine Braue, fragte sich, was er lieber ihr berichten wollte als dem König selbst. »Temella, reite zum Gehöft und sage, dass wir Gäste haben werden.« Das Mädchen nickte, stieß ihr Pferd an und ritt in leichtem Trab davon. Bogle sprang ihr nach, tollte im Kreis um ihr Pferd herum und rutschte dann im Schnee zurück zu Boudicca.
»Willst du ein Stück des Wegs mit mir reiten?«, fragte er und lenkte sein Reittier dichter an das ihre. »Unsere Pferde sollten nicht stehen bleiben in dieser Kälte.«
Da hatte er recht. Sie ließ die Zügel locker, und Roud ging im Schritt neben seinem großen Grauen her.
»Der Winter scheint dir nichts auszumachen, meine Liebe.«
»Du siehst auch nicht gerade aus, als würdest du darunter leiden«, stellte sie fest. Die Kälte hatte seinen bleichen Wangen eine ungewohnte Tönung verliehen und die Augen glänzend gemacht, und wie sie bemerkte, ließen sich bei dieser Eiseskälte sogar die Römer einen Bart stehen. »Ich nehme an, so einen Winter kennt ihr gar nicht in eurer Heimat.«
»Es ist nicht ganz so, wie du vielleicht denkst – ich komme aus Dada, und die Winter dort können wirklich bitterkalt sein.«
»Das würde erklären, wie es dir überhaupt in den Sinn kommen kann, bei diesem Wetter zu reisen. Ich dachte immer, ihr Römer verbringt die britannischen Winter damit, Holz in eure Bodenheizanlagen zu schaufeln und die Kälte zu verfluchen.«
Er lachte schallend hinaus, was sie überraschend angenehm fand. »In Camulodunum tun sie das zweifelsohne, doch selbst dein Hund weiß, dass man auch im Winter Auslauf und Bewegung braucht …«
Sie sah Bogle nach, der einen Hasen im Unterholz aufgescheucht hatte, ihn nun durch den Schnee jagte und wie verrückt bellte, obgleich nicht ganz klar war, ob er versuchte, ihn zu jagen, oder nur spielen wollte.
»Meine Mutter war eine Edelfrau aus Dacia.« Pollio warf ihr einen kurzen Blick zu und sah dann wieder weg. »Mein Vater heiratete sie, als er dort stationiert war. Durch die Heirat wurden die Provinzen Teil des Römischen Reiches.«
Ich habe bereits einen Mann – warum
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