Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
unerträglich geworden war. Natürlich war es purer Zufall, dass er ausgerechnet in dieser Gegend unterwegs war, als der Schneesturm eingesetzt hatte. Ob es aber ein glücklicher oder unglücklicher Zufall war, da war sie sich nicht gewiss.
»Alles scheint in Sicherheit gebracht«, antwortete sie gleichgültig.
»Gut zu hören«, meinte Prasutagos und wandte sich wieder dem Römer zu. »Um deine und meine Männer unterzubringen, brauchen wir das zweite Rundhaus, und das Beste wäre, auch die Pferde unterzustellen.«
»Oh, dass deine Krieger sich unseretwegen zusammenpferchen müssen, ist nicht nötig.« Pollios Lippen verzogen sich zu einem höflichen Lächeln. »Wenn wir stramm weiterziehen, dürften wir die Fähre mit Einbruch der Dunkelheit erreichen. Ich habe Botschaften für den König der Briganten, die keinen Aufschub dulden, und ich muss das ruhige Wetter zur Überfahrt nutzen, bevor neue Stürme aufziehen.«
Bevor Prasutagos aufgetaucht war, dachte Boudicca bei sich, hatte er sich den Anschein gegeben, die Nacht mit mir verbringen zu wollen.
»Ja, das solltet ihr vielleicht«, sagte der König bedächtig. »Kurz vor dem Sturm kam ein Schiff herein. Du wirst also nicht lange auf eines warten müssen. Grüße Venutios und Cartimandua von mir.«
»Tut mir leid, dass wir nicht in den Genuss deiner Gesellschaft kommen.« Sollte der Römer ihre Worte auffassen, wie er wollte, dachte Boudicca im Stillen. »Aber ich verstehe den Ruf der Pflicht.« Auch den meiner eigenen?, fragte sie sich skeptisch.
Prasutagos besuchte sie von Zeit zu Zeit, wenn er in der Nähe war, blieb zum Essen, machte sich aber stets wieder auf den Weg, bevor es dunkel wurde – er kontrollierte sie so wie jedes andere Stück seines Besitzes auch, dachte sie bitter. Die ersten paar Male hatte sie kaum bemerkt, ob er da war oder nicht, in der letzten Zeit aber fand sie seine Ungerührtheit etwas aufreibend.
Bogle setzte sich in den Schnee und ließ die Zunge heraushängen, während Pollio seine Männer zusammenzog und mit seiner kleinen Truppe durch den Schnee davonritt.
»Die sollten uns dankbar sein, dass wir eine Spur für sie gezogen haben«, bemerkte Bituitos, der ältere der beiden Krieger, die als erste Bewacher des Königs dienten. Er war genauso stattlich wie Prasutagos, aber zehn Jahre jünger, eine Art Vetter und, wie in der Familie üblich, groß gewachsen, kräftig und dunkelhäutig.
»Besser, sie beeilen sich«, fügte Eoc Mor hinzu, ein ebenso hochgewachsener Mann mit braunem Haar und grauen Augen. Er hatte sich eigentlich auf ein Leben als Bauer eingerichtet, bis irgendjemandem aufgefallen war, wie blitzschnell er das Schwert führen konnte. »Wenn die Römer die Zeichen des Wetters nicht lesen können, ihr Pech. Ich kann es, und die Wolken, die sich im Osten zusammenballen, werden noch vor dem Morgengrauen mehr Schnee bringen!«
Und tatsächlich, der Wind begann aufzufrischen, führte eine feuchte Kälte mit sich, die tiefer ging als die knisternde Kälte am Morgen des Tages.
»Vielleicht sollten wir uns ebenfalls aufmachen«, sagte Boudicca. »Als wir auf die Römer trafen, habe ich Temella losgeschickt, um Gäste anzukündigen. Nun seid ihr eben da – wäre schade um das viele Essen.«
Bituitos hatte das Wetter richtig gedeutet. Bis zum Sonnenuntergang trieb der Wind das erste Schneegestöber über das Land. Das Gerüst aus Balken und Weidenruten, welches das Strohdach stützte, bog sich und ächzte mit jeder Böe. Der wechselnde Druck zog den Rauch vom Feuerherd bis unter die hohe Dachspitze, wo er sich zu dichten Schwaden türmte. Niemand kam auf die Idee, dass der König und seine Männer bei einem solchen Schneesturm weiterreiten könnten, und auch Prasutagos schien dies nicht wirklich erwogen zu haben. Boudicca war sich seiner Gegenwart so bewusst wie nie zuvor und wusste nicht, ob er es war, der sich verändert hatte, oder sie. Er schien schmaler, dünner geworden und drahtiger vom harten Reiten. Das Licht des Feuers glitzerte auf seinem Schnauzbart und ließ seine stark ausgeprägten Wangenknochen und Kinnbacken glänzen.
Auf dem Gehöft gab es zwei Rundhäuser, daneben weitere Gebäude, die als Stallungen und Scheunen dienten. Als der letzte Rest des Hammeleintopfs gegessen war, stand der Großteil der Männer des Königs auf, um zusammen mit den Hofarbeitern das zweite Haus für die Nacht zu beziehen. Doch kaum hatte man das lederne Tuch, das den Eingang verhängte, nur ein kleines Stück aufgeschnürt,
Weitere Kostenlose Bücher