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Avalon 08 - Die Nebel von Avalon

Titel: Avalon 08 - Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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hob Kevin den Kopf und blickte sie an. Morgaine sah verwundert die bittere Feindseligkeit in seinem Blick und spürte, daß er ihren Zorn verstand, denn einst hatte er ihn selbst kennengelernt und damit gerungen.
    Kevin hätte vielleicht geantwortet. Aber Taliesin nickte ihm zu, und er senkte den Kopf wieder über die Harfe. Jetzt fiel Morgaine auf, daß er anders spielte als die meisten Harfner, die ihre kleinen Instrumente im Arm hielten und mit der linken Hand die Saiten schlugen. Er nahm die Harfe zwischen die Knie und beugte sich darüber. Sie sah es mit Überraschung; und die Musik erfüllte den Raum, erhob sich von den Saiten wie strahlendes Mondlicht, und sie vergaß das Ungewohnte seines Spiels. Sie sah, wie Kevins Gesicht sich veränderte, ruhig wurde und entrückt wirkte. Nichts blieb zurück von den spöttischen Worten. Sie wußte, sie mochte ihn mehr, wenn er spielte und weniger, wenn er sprach.
    Im Raum herrschte Schweigen. Die Klänge der Harfe erfüllten ihn bis unter das Dach, und es schien, als hätten die Lauschenden aufgehört zu atmen. Die Töne trugen alles davon; Morgaine zog sich den Schleier vor das Gesicht. In der Musik schien sie wieder das Brausen des Frühlings zu hören; sie spürte das süße Wissen, das ihren Körper erfüllt hatte, als sie in jener Nacht wach im Mondlicht lag und auf die Morgendämmerung wartete. Viviane griff nach ihrer Hand und streichelte sanft einen ihrer Finger nach dem anderen, wie sie es getan hatte, als Morgaine noch ein Kind gewesen war. Sie konnte die Tränen nicht mehr halten. Dann hob sie Vivianes Hand an die Lippen und bedeckte sie mit Küssen. Und mit einem überwältigenden Gefühl des Verlustes dachte sie:
Oh, sie ist alt; sie ist alt geworden, seit ich hier bin…
Viviane schien für sie immer alterslos, unveränderlich gewesen zu sein, wie die Göttin selbst.
Oh, aber auch ich habe mich verändert, ich bin kein Kind mehr… Damals, als ich hierherkam, sagte sie, der Tag würde kommen, an dem ich sie so sehr hasse, wie ich sie damals liebte. Und ich konnte es nicht glauben…
Morgaine kämpfte gegen die Tränen an, da sie fürchtete, sich durch ein Schluchzen zu verraten und noch einmal das Harfenspiel zu unterbrechen. Sie dachte:
Nein, ich kann Viviane nicht hassen.
Ihr ganzer Zorn zerschmolz und verwandelte sich in so großes Leid, daß sie glaubte, hemmungslos schluchzen zu müssen. Weinen um sich; weinen um die Veränderungen in ihr … weinen um Viviane, die so schön, die das Antlitz der Göttin gewesen war und jetzt eher der Todesbotin glich… weinen um das Wissen, daß auch sie, wie Viviane, eines Tages die Todesbotin verkörpern würde; denn die Jahre zogen unbarmherzig vorüber… weinen um den Tag, an dem sie mit Lancelot auf den Berg gestiegen war und mit ihm in der Sonne gelegen, sich nach seiner Hand gesehnt hatte, ohne genau zu wissen, wonach es sie verlangte… und weinen um etwas, das sie unwiderruflich verloren hatte – nicht nur die Jungfräulichkeit, sondern ein Vertrauen und einen Glauben, den sie nie mehr empfinden würde.
    Morgaine wußte, daß auch Viviane still hinter ihrem Schleier weinte.
    Sie blickte auf. Kevin saß reglos da; nur seine Finger glitten über die Saiten. Dann verebbte der seufzende Wahnsinn der Musik, der Raum versank in tiefem Schweigen. Der Harfner hob den Kopf, seine Finger griffen in die Saiten und schlugen eine fröhliche Melodie an – ein Lied der Gerstensäer auf den Feldern mit einem wilden Wirbel und Worten, die alles andere als feierlich waren. Er sang, und seine Stimme klang stark und rein. Morgaine richtete sich im Schutz der heiteren Musik auf und beobachtete seine Hände. Sie schob den Schleier beiseite und wischte die verräterischen Tränen ab. Dann fiel ihr auf, daß trotz aller Fingerfertigkeit irgend etwas mit seinen Händen nicht stimmte. Sie schienen mißgestaltet zu sein; und als sie genauer hinsah, bemerkte sie, daß an einem oder zwei Fingern ein Glied fehlte und von der linken Hand ganz der kleine Finger – er spielte geschickt mit den Stummeln.
    So schön und geschmeidig seine Finger beim Spielen auch schienen, sie waren merkwürdig verfärbt.
    Als er dann die Harfe absetzte und sich vorbeugte, um sie festzuhalten, verschob sich ein Ärmel, und sie sah weiße Striemen auf seinem Arm, die wie Brandnarben oder schrecklich verheilte Wunden wirkten. Sie sah ihn genauer an und bemerkte, daß auch Kinn und Wangen von feinen Narben überzogen waren. Kevin spürte ihren Blick, und wieder

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