Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
in einem Land, das versunken war, noch ehe die Ringsteine auf dem Berg aufgerichtet wurden, und um ihre Arme wanden sich die goldenen Schlangen… die blasse Mondsichel brannte wie ein großer gehörnter Mond auf ihrer Stirn, und sie
kannte
ihn, mit einem Wissen, das jenseits von Zeit und Raum lag… Sie schrie auf; sie erhob die Große Klage um alles, was sie in diesem Leben nicht gekannt hatte; der Todeskampf eines Verlustes, von dem sie bis zu diesem Augenblick nichts geahnt hatte, überwältigte sie. Dann war der Garten leer. Nur die Vögel zwitscherten selbstvergessen im wabernden Schweigen der Nebel, die die aufgehende Sonne verhüllten.
Und weit entfernt in Caerleon weint Igraine um ihre Liebe… sie weiß, daß sie Witwe ist… und sie darf ihn betrauern …
Viviane griff haltsuchend nach dem taufeuchten Stamm des großen Baumes; geschüttelt von diesem unerwarteten Schmerz lehnte sie sich dagegen.
Er hatte sie nicht erkannt. Er hatte sie abgelehnt, hatte ihr bis zum Augenblick seines Todes mißtraut, als die sterbliche Hülle eines Lebens von ihm abfiel.
Sei barmherzig, Göttin… ein Leben ist vergangen, und ich habe ihn nicht erkannt… vorbei, wieder einmal vorbei! Werde ich ihn erkennen, wenn wir uns wiederbegegnen, oder werden wir auch dann blind sein und wie Fremde aneinander vorübergehen?
Sie erhielt keine Antwort; nur Schweigen umgab sie, und Viviane konnte noch nicht einmal weinen.
Igraine wird um ihn weinen… ich kann es nicht.
Sie nahm sich zusammen. Es war nicht die Zeit, hier herumzustehen und eine Liebe zu betrauern, die wie ein Traum im Traum war. Die Zeit stand für Viviane nicht mehr still, und sie dachte mit leichter Bestürzung an die Vision; sie empfand keine Trauer um den Gestorbenen, nichts außer Bitterkeit. Sie hätte wissen können, daß es ihm gelingen würde, im ungeeignetsten Augenblick zu sterben, ehe er Zeit gefunden hatte, seinen Sohn den rivalisierenden Königen, die alle nach der Krone strebten, als Nachfolger vorzustellen. Warum war er nicht in Caerleon geblieben? Warum mußte er seinem Stolz nachgeben und sich noch einmal auf dem Schlachtfeld zeigen? Hatte er seinen Sohn wenigstens noch einmal gesehen? War der Merlin zur rechten Zeit mit ihm gekommen?
Die Vision ließ sich durch nichts mehr zurückrufen. Sie konnte ihm keine Fragen mehr stellen. Uther war wirklich im Augenblick seines Todes zu ihr gekommen – Igraine würde das besser nie erfahren. Aber nun war er gegangen.
Viviane blickte zum Himmel empor. Die Sichel des neuen Mondes war noch nicht zu entdecken. Vielleicht würde sie noch etwas in ihrem Spiegel sehen. Sollte sie Raven rufen? Nein, dazu blieb keine Zeit. Und vielleicht wäre Raven nicht bereit, ihr Schweigen wegen einer Erscheinung weltlicher Dinge zu brechen. Morgaine? Sie schreckte vor dem Gedanken zurück, Morgaine zu sehen.
Wird sie wie ich ihr ganzes Leben lang mit einem toten Herzen in der Brust leben?
Erschauernd holte sie tief Luft. Dann wandte sie sich um und verließ den Garten. Es war ein feuchter und sehr kühler Morgen. Die aufgehende Sonne verbarg sich noch hinter den Nebeln. Niemand war zu sehen, als sie mit schnellen Schritten den geheimen Weg zur Heiligen Quelle hinaufging. Sie beugte sich nieder, um zu trinken, strich sich die Haare aus dem Gesicht und tauchte die Hände in das Wasser. Dann ging sie zum Spiegelteich. Sie verrichtete seit so vielen Jahren ihren Dienst in diesem Heiligtum, daß sie die Gabe des Gesichts für selbstverständlich hielt. Doch ganz gegen ihre Gewohnheit betete sie heute.
Göttin, nimm die Macht nicht von mir, noch nicht… noch eine Weile nicht. Große Mutter, du weißt, ich bitte nicht für mich. Ich bitte, damit das Land in Sicherheit ist, bis ich es in die Hände übergeben kann, die ich darauf vorbereitet habe, es zu schützen.
Sie sah nur, wie das Wasser des Teichs sich kräuselte und ballte die Fäuste, als könne sie die Vision erzwingen. Langsam begannen sich Bilder zu formen.
Sie sah den Merlin, der auf seinen geheimen Wegen das ganze Land durchstreifte… einmal als Druide und Barde, wie es dem Boten der Götter geziemte, dann wieder als alter Bettler, als fahrender Händler oder als einfacher Harfenspieler. Das Gesicht verschob und veränderte sich, und sie sah Kevin, den Barden, einmal in den weißen Gewändern des Boten von Avalon, dann in der Kleidung eines Edelmannes, der vor den Christenpriestern stand… hinter seinem Kopf lag ein Schatten. Schatten umkreisten ihn… der Schatten des
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