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Avalon 08 - Die Nebel von Avalon

Titel: Avalon 08 - Die Nebel von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Königin. Ihr Alter zu schätzen war unmöglich. Aber die tiefliegenden Augen und die Falten des Gesichts sagten ihr, daß die Frau nicht jung sein konnte.
    »Was tust du hier, Morgaine, aus dem Volk der Feen?«
    Ihr rann es eiskalt über den Rücken. Woher wußte diese Frau ihren Namen? Mit dem Geschick einer Priesterin verbarg Morgaine ihre Furcht und erwiderte: »Wenn Ihr meinen Namen wißt, Herrin, seht Dir sicher auch, was ich tue.« Entschlossen zwang sie sich, den Blick von den dunklen Augen der Frau abzuwenden und machte sich daran, die Wurzeln zu schälen. Dann sah sie wieder auf und erwartete fast, die Fremde wäre ebenso schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Aber sie stand noch immer auf derselben Stelle und musterte Morgaine unbewegt. Ihre Augen richteten sich auf Morgaines erdverschmierte Hände und die Fingernägel, die sie sich beim Graben eingerissen hatte: »Ja, ich sehe, was du tust, und weiß, was du tun willst. Aber warum?«
    »Weshalb wollt Ihr das wissen?«
    »Leben ist für mein Volk etwas Kostbares«, antwortete ihr die Frau. »Obwohl wir weder so leicht gebären noch so leicht sterben wie ihr. Aber es ist mir ein Rätsel, weshalb du, Morgaine aus dem königlichen Geschlecht des Alten Volkes und deshalb meine entfernteste Verwandte, das einzige Kind abstoßen willst, das du je in deinem Leben haben wirst.«
    Morgaine schluckte schwer. Sie erhob sich ungeschickt – im Bewußtsein der schmutzigen, erdverkrusteten Hände, der halbgeschälten Wurzel in der Hand und des Rocks, der vom Knien auf dem feuchten Boden naß und zerknittert war – und stand wie eine Gänsemagd vor einer Hohepriesterin.
    Trotzig entgegnete sie: »Wie könnt Ihr solches sagen? Ich bin noch jung. Wieso glaubt Ihr, ich könnte nicht noch ein Dutzend Kinder haben, wenn ich dieses eine nicht bekomme?«
    »Ich hatte vergessen, daß das Gesicht nur verzerrt und unvollständig ist, wenn das Feenblut verdünnt fließt«, antwortete die Fremde. »Laß dir genug sein, wenn ich es sage. Ich habe es gesehen. Überlege dir gut, Morgaine, ehe du zurückweist, was die Göttin dir vom Königshirsch geschenkt hat.«
    Plötzlich brach Morgaine wieder in Tränen aus und stammelte: »Ich will es nicht. Ich wollte es nicht… warum hat die Göttin mir das angetan? Könnt Ihr mir darauf eine Antwort geben? Ihr kommt doch von ihr?«
    Die Fremde sah sie traurig an. »Ich bin nicht die Göttin, Morgaine… nicht einmal ihre Botin. Wir kennen weder Götter noch Göttinnen, sondern nur die Brust unserer Mutter, die unter unseren Füßen und über unseren Köpfen ist, von der wir kommen und zu der wir gehen, wenn unsere Zeit gekommen ist. Deshalb halten wir das Leben in hohen Ehren und weinen, wenn wir sehen, daß es weggeworfen wird.« Sie trat auf Morgaine zu, nahm ihr die Wurzel aus der Hand und sagte: »Du willst es nicht.« Damit warf sie die Wurzel auf den Boden.
    »Wie heißt Ihr?« rief Morgaine. »Wo bin ich hier?«
    »Du könntest meinen Namen in deiner Sprache nicht nennen«, erwiderte die Fremde. Und plötzlich fragte sich Morgaine verwundert,
    mit welchen Worten sie sich unterhielten. »Du bist hier im Haselhain, und das sagt genug. Er reicht bis zu meinem Haus, und dieser Pfad dort drüben…«, sie deutete mit dem Finger darauf, »führt dich zu deinem Haus nach Avalon zurück.«
    Morgaine folgte dem ausgestreckten Finger mit den Augen. Ja, richtig, dort wand sich ein Pfad. Sie hätte schwören mögen, daß er nicht dagewesen war, als sie den Hain betrat.
    Die Fremde stand immer noch vor ihr. Ein seltsamer Geruch ging von ihr aus – nicht der aufdringliche Brodem eines ungewaschenen Körpers wie bei der alten Stammespriesterin, sondern nur ein merkwürdig unbestimmter Duft wie von unbekannten Kräutern oder Blättern – ein fremder, frischer, beinahe bitterer Duft. Er erinnerte sie an die rituellen Kräuter, die das Gesicht heraufbeschworen, und rief in ihr das Gefühl hervor, über ihren Augen läge ein Zauber. Sie schien mehr zu sehen als gewöhnlich. Alles wirkte neu und klar, nichts alltäglich und wie sonst.
    Die Fremde sagte leise mit hypnotisierender Stimme: »Du kannst bei mir bleiben, wenn du willst. Ich werde dich in den Großen Schlaf versetzen, und du wirst deinen Sohn ohne Schmerzen gebären. Ich werde ihn annehmen. In ihm fließt starkes Blut. Hier wird er länger leben als bei euch. Ich sehe sein Schicksal, ich sehe seine Bestimmung in deiner Welt… er wird versuchen, Gutes zu tun, aber nur Schaden anrichten,

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