Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Gestalt von Igraines Kind wiedergegeben.
Jetzt weint sie, und jede ihrer Tränen scheint sich in mein eigenes Herz zu brennen. Du hast mir dieses Kind gegeben, Göttin, damit ich es liebe. Und doch muß ich Morgaine diesen Qualen überlassen… Die ganze Menschheit leidet in dieser Zeit. Die Erde selbst schreit auf unter den Qualen ihrer Söhne. In unserem Leid, Mutter Ceridwen, wachsen wir dir entgegen …
Viviane fuhr sich schnell mit der Hand über die Augen. Sie schüttelte den Kopf, und die Träne in ihrem Auge verschwand ohne Spur.
Auch sie hat sich dem geweiht, was geschehen muß. Und ihre Leiden haben noch nicht begonnen.
Morgaine regte sich im Schlaf und drehte
sich auf die Seite. Viviane befürchtete plötzlich, Morgaine würde erwachen, und sie müsse sich der Anklage in ihren Augen stellen. Deshalb stahl sie sich schnell aus der Kammer und kehrte lautlos in ihr Gemach zurück. Sie legte sich auf ihr Bett und versuchte zu schlafen, aber ihre Augen schlossen sich nicht. Einmal, gegen Morgen, sah sie, wie ein Schatten über die Wand glitt. Im Halbdunkel erkannte sie ein Gesicht. Es war die Todesbotin, die, in Lumpen- und Schattenfetzen gehüllt, auf sie wartete.
Mutter, kommt Ihr meinetwegen? Noch nicht, meine Tochter. Es ist mein anderes Ich. Du sollst dich nur daran erinnern, daß ich dich wie alles Sterbliche erwarte…
Viviane blinzelte. Doch die Ecke des Raums war dunkel und leer.
Sie muß mich bestimmt nicht daran erinnern, daß sie mich erwartet…
Viviane blieb still liegen und wartete, wie sie es seit langem tat, bis Morgenlicht ins Zimmer drang. Selbst dann wartete sie noch bis nach dem Ankleiden – sie würde das Neumondfasten erst beenden, wenn am Abend die zarte Sichel wieder am Himmel stand. Dann rief sie nach der Priesterin und sagte zu ihr: »Bringe mir meine Nichte Morgaine.«
Als Morgaine eintrat, bemerkte Viviane, daß sie das Gewand einer Priesterin der höchsten Stufe trug. Das Haar war geflochten und aufgesteckt, und an der schwarzen Kordel hing das kleine sichelförmige Messer. Viviane lächelte trocken. Nachdem sie sich begrüßt hatten und Morgaine neben ihr saß, begann die Herrin: »Zweimal hat sich der Mond erneuert. Sag mir, Morgaine, hat der Gehörnte aus dem Hain deinen Leib gesegnet?«
Morgaine warf ihr einen schnellen Blick zu, den Blick eines kleinen verängstigten Tieres in der Schlinge. Dann antwortete sie wütend und trotzig: »Ihr habt mir selbst geraten, nach meinem eigenen Gewissen zu handeln. Ich habe es abgestoßen!«
»Das hast du nicht«, erwiderte Viviane und gab sich Mühe, ihre Stimme unbewegt klingen zu lassen. »Warum belügst du mich? Ich sage, du wirst es nicht tun.«
»Ich werde es aber.«
Viviane spürte die Kraft dieser Frau. Als Morgaine sich schnell von der Bank erhob, wirkte sie einen Augenblick lang groß und erhaben, aber es war der Kunstgriff einer Priesterin, und Viviane wußte es.
Sie ist mir entwachsen. Ich kann sie nicht mehr einschüchtern.
Trotzdem setzte Vivane ihre ganze Würde ein und sagte: »Und du wirst es
nicht
tun! Das königliche Blut von Avalon darf nicht verworfen werden!«
Morgaine fiel auf die Knie, und die Herrin vom See fürchtete, das Mädchen würde wild zu schluchzen beginnen. »Warum hast du mir das angetan, Viviane? Warum hast du mich auf diese Weise benutzt? Ich habe geglaubt, du liebst mich?« In dem jungen Gesicht zuckte es, aber sie weinte nicht.
»Die Göttin weiß, mein Kind, daß ich dich liebe, wie ich keinen anderen Menschen auf der Erde je geliebt habe«, antwortete Viviane mit fester Stimme, trotz der unsäglichen Qual in ihrem Herzen. »Doch als ich dich hierher brachte, habe ich dir gesagt: Die Zeit wird kommen, und von da an haßt du mich vielleicht ebenso wie du mich jetzt liebst. Ich bin die Herrin von Avalon. Ich nenne keine Gründe für mein Handeln. Ich tue, was ich tun muß… nicht mehr und nicht weniger. Und wenn der Tag kommt, wirst du ebenso handeln.«
»Dieser Tag wird niemals kommen!« schrie Morgaine. »Denn ich sage dir: Du hast mich das letzte Mal benutzt und mit mir wie mit einer Puppe gespielt! Das ist vorbei… vorbei!«
Viviane antwortete mit gefaßter Stimme, der Stimme der erfahrenen Priesterin, die ruhig stehenbleiben würde, selbst wenn der Himmel über ihr zusammenfiele: »Hüte dich, Morgaine, wenn du mich verfluchst. Worte, die du einem Menschen im Zorn entgegenschleuderst, sind tückisch. Sie wenden sich gegen dich, wenn du es am wenigsten verkraften kannst.«
»Euch
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