Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
schon länger in Avalon! Kannte beinahe jeden Strauch und jeden Baum, jeden Pfad und selbst die kleinste Erhebung.
Unmöglich, daß sie sich in Avalon verirrte! Und doch war es so. Sie befand sich plötzlich in einem dichten Wald, wo die Bäume älter waren und enger standen, als sie es je gesehen hatte. Hier wuchsen Büsche, Kräuter und Bäume, die sie nicht kannte. Konnte es sein, daß sie die Nebel durchquert hatte, ohne es zu bemerken? Befand sie sich jetzt auf dem Festland? Auf der anderen Seite des Sees? Nein, in Gedanken ging sie noch einmal Schritt um Schritt zurück. Sie hatte keinen Nebel bemerkt. Außerdem, Avalon war fast eine Insel, man wäre immer auf Wasser gestoßen. Es gab zwar den verborgenen, beinahe trockenen Saumpfad, aber sie befand sich in einer wirklich anderen Gegend.
Selbst an dem Tag, als sie und Lancelot Gwenhwyfar in den Nebeln fanden, waren sie durch Sumpfiges und nicht durch Wald gegangen. Nein, dies war nicht die Insel der Christenpriester. Und wenn sie nicht das magische Können entwickelt hatte, den See zu überqueren, ohne zu schwimmen, befand sie sich auch nicht auf dem Festland – aber auch nicht auf Avalon. Morgaine blickte zum Himmel, um nach dem Stand der Sonne zu schauen. Aber sie sah das Lichtrad nicht, nur ein sanftes Strahlen, das von überall her zu kommen schien.
Morgaine überkam kalte Furcht. Sie war nicht mehr auf der Welt, die sie kannte. Umfaßte die Magie der Druiden, die Avalon der Welt entrückt hatte, noch ein anderes, unbekanntes Land – eine Welt um oder hinter Avalon? Sie betrachtete die uralten Bäume, die dicken Eichen, die Haselnußsträucher, den Farn und die tiefhängenden Weiden und wußte, das war nicht mehr die Welt, die sie kannte. Vor ihr stand eine einzelne, uralte verkrümmte Eiche. Diesen Baum hätte sie nie übersehen oder nicht kennen können. Ein so alter und verehrungswürdiger Baum hätte bei den Druiden sicher als heilig gegolten.
»O Göttin, wo bin ich?«
Wo immer sie auch war, sie konnte hier nicht bleiben. Entweder würde sie in einen bekannten Teil der Welt zurückfinden, einen Orientierungspunkt, den sie kannte, oder eine Stelle erreichen, wo die Nebel begannen, und auf diese Weise nach Avalon zurückkehren.
Langsam ging Morgaine durch den immer dichter werdenden Wald. Weit vor ihr schien eine Lichtung zu liegen, und sie schritt darauf zu. Sie betrachtete Haselsträucher, die sie umgaben, und wußte, daß sie noch nie von Menschenhand berührt worden waren – nicht einmal vom metallenen Messer eines Druiden, der sich einen Zauberstab geschnitten hätte, mit dem er Wasser, verborgenen Schätzen oder Gift nachspürte. Es gab einen Haselnußhain auf Avalon. Aber die Sträucher dort kannte sie. Vor Jahren, als sie diese Dinge lernte, hatte sie sich ihren eigenen Stab geschnitten. Es war wirklich ein anderer Platz! Am Rand der Lichtung entdeckte sie die Kräuter, die sie suchte. Sie konnte sie ebensogut gleich mitnehmen, dann war sie nicht umsonst hierhergekommen. Morgaine durchquerte die Lichtung, ließ sich nieder, benutzte den Rocksaum als Polster für die Knie, damit sie besser arbeiten konnte und begann, nach den Wurzeln zu graben.
Zweimal während ihrer Arbeit hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden – das leichte Prickeln im Rücken, das jeder kennt, der in der Wildnis lebt, verriet es ihr. Aber als sie aufblickte, sah sie nichts – nur Schattenhaftes unter den Bäumen. Beim dritten Mal vermied sie so lange wie möglich, den Kopf zu heben, zog die Pflanze aus dem Erdreich und begann die Wurzeln zu lösen, während sie den nötigen Spruch murmelte – ein Gebet an die Göttin, der entwurzelten Pflanze wieder Leben zu schenken, damit andere an ihrer Stelle wachsen würden. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, wuchs. Schließlich blickte Morgaine auf. Unter den Bäumen am Rand der Lichtung stand schier unsichtbar im Schatten eine Frau und schaute zu ihr herüber.
Sie war keine Priesterin. Morgaine hatte sie noch nie gesehen. Sie trug ein fahles graugrünes Gewand von der Farbe der Weidenblätter, wenn sie im Spätsommer alt werden und verbleichen… und darüber einen dunklen Umhang. An ihrem Hals schimmerte etwas Goldenes. Im ersten Augenblick hielt Morgaine sie für eine Frau aus dem dunklen Kleinen Volk, bei dem sie die Jagd auf den Königshirsch erlebt hatte. Aber die Haltung der Frau unterschied sich sehr von dem Gebaren der kleinen, im Grunde ängstlichen Menschen. Sie wirkte eher wie eine Priesterin oder
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