Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Ungeduld. Welch ein Unsinn… als könnte ein von Menschenhand erbautes Haus durch die Worte des Priesters in die Wohnstätte des Geistes verwandelt werden, der mit Menschenwerk nicht das geringste zu tun hatte! Sie hatte Morgauses Hof satt gehabt, war endlich in den Mittelpunkt des Geschehens zurückgekehrt, und fühlte sich wie aus dem stillen, abgestandenen Wasser eines Teichs plötzlich in einen schnell dahinfließenden Strom versetzt. Sie lebte wieder. Selbst in dem ruhigen und abgeschiedenen Avalon hatte sie das Gefühl, mit dem Leben in Berührung zu stehen. Aber unter Morgauses Hofdamen kam sie sich müßig, festgefahren und nutzlos vor. Jetzt bewegte sie sich wieder, während sie seit der Geburt ihres Sohnes auf der Stelle getreten war. Morgaine dachte flüchtig an ihren kleinen Sohn, an Gwydion. Er kannte sie kaum mehr. Wenn sie ihn hochnahm, um ihn zu liebkosen, wehrte er sich heftig und kämpfte darum, zu seiner Pflegemutter zurückzukehren. Der Gedanke an seine kleinen Arme, die sich um ihren Hals schlangen, machte sie selbst jetzt schwach und reumütig. Aber sie verdrängte die Erinnerung. Er wußte nicht einmal, daß er ihr Sohn war. Er würde sich immer für eines von Morgauses Kindern halten. Morgaine war das nur recht, aber trotzdem konnte sie den heimlichen Kummer darüber nicht unterdrücken.
Vermutlich empfanden alle Frauen dieses Bedauern, wenn sie ihr Kind weggeben mußten. Nur die Frauen, die keine größeren Aufgaben zu bewältigen hatten, die zu Hause blieben und sich damit zufrieden-gaben, für ihre Kinder zu sorgen – etwas, das jede Pflegemutter oder Dienerin ebensogut tun konnte – kannten dieses Bedauern nicht. Selbst eine Kuhmagd mußte die Kinder zu Hause lassen und sich um die Herden kümmern. Um wieviel mehr traf das auf eine Königin oder eine Priesterin zu? Auch Viviane hatte ihre Kinder aufgegeben und Igraine ebenfalls.
Artus sah gut aus und wirkte männlich. Er war gewachsen und hatte breitere Schultern – er war nicht mehr der schlanke Jüngling, der mit dem Hirschblut auf der Stirn zu ihr gekommen war.
Dort
hatte sich die Macht gezeigt, nicht hier bei diesen blassen Sprüchen, in denen die Taten des Christengottes aufgezählt wurden. Dieser Gott mischte sich in alles ein, verwandelte Wasser in Wein – und bereits das wäre eine Lästerung der Göttin und ihrer Gaben. Oder sollte die Geschichte bedeuten, daß der Gärstoff des Geistes die Vereinigung von Mann und Frau in der Ehe in etwas Heiliges verwandelte wie in der Großen Ehe? Um Artus' willen hoffte Morgaine, es würde mit dieser Frau so sein – wer immer sie auch war. Von ihrem Platz hinter Morgause sah sie nur eine Wolke blaßgoldener Haare unter einem noch helleren, goldenen Brautkranz und ein weißes Gewand aus einem kostbaren, feinen Gewebe. Artus hob den Kopf, um seine Braut anzusehen, und sein Blick fiel auf Morgaine. Sie sah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte und dachte seltsam berührt:
Er hat mich also erkannt. Ich kann mich nicht so sehr verändert haben wie er sich. Er ist vom Jüngling zum Mann herangewachsen, während ich… ich war bereits eine Frau. Mich hat es nicht so sehr verändert.
Sie hoffte, daß Artus' Braut ihn liebte und er sie. Im Geist hörte Morgaine Artus' verzweifelte, traurige Worte:
Du wirst immer alle Frauen für mich sein. In dir werde ich immer die Göttin sehen.
Aber das durfte er nicht! Er mußte es vergessen. Er durfte die Göttin nur in seiner rechtmäßigen Gemahlin sehen. Neben ihm stand Lancelot. Wie konnte es sein, daß die Zeit Artus so verändert, ihn so ernst gemacht hatte und Lancelot unberührt und unverändert ließ? Nein, auch er hatte sich verändert. Er wirkte traurig. Über sein Gesicht zog sich eine lange Narbe bis zu den Haaren – ein schmaler, weißer Streif. Cai war schlanker und gebeugter, sein Hinken ausgeprägter. Er sah Artus an wie ein treuer Hund seinen Herrn. Halb hoffend, halb ängstlich blickte Morgaine sich um: War Viviane zu Artus' Hochzeit gekommen? Aber sie sah die Herrin vom See nicht. Dort kniete der Merlin. Er hielt den grauen Kopf beinahe wie im Gebet gesenkt, und hinter ihm stand – ein großer Schatten, zu vernünftig, um das Knie vor diesem albernen Mummenschanz zu beugen – Kevin der Barde. Gut für ihn!
Die Messe ging zu Ende. Der Bischof, ein großer, asketisch wirkender Mann mit einem griesgrämigen Gesicht, sprach den Segen. Selbst Morgaine senkte den Kopf – sie hatte von Viviane gelernt, zumindest nach außen Achtung
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