Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Schleiers fühlte sich Morgaine angesichts der himmlischen Gwenhwyfar in Weiß und kostbarem Gold wie eine unscheinbare, derbe einfache Frau. Aber im nächsten Augenblick trat Gwenhwyfar auf sie zu, umarmte und küßte sie auf die Wange, wie es sich für eine Verwandte gehörte. Morgaine erwiderte die Umarmung. Gwenhwyfar schien so zerbrechlich wie kostbares Glas zu sein – anders als ihr abgehärteter, kräftiger Körper; sie spürte, wie sie selbst scheu und kühl zurückwich, damit sie nicht erleben mußte, daß Gwenhwyfar vor
ihr
zurückwich. Im Vergleich zu Gwenhwyfars Wange, die so zart war wie Rosenblüten, wirkten ihre Lippen richtig rauh.
Gwenhwyfar sagte leise: »Seid mir willkommen als die Schwester meines Gemahls, Herzogin von Cornwall… darf ich Euch Morgaine nennen, Schwester?«
Morgaine holte tief Luft und murmelte: »Wie es Euch beliebt, Herrin.«
Als sie es gesagt hatte, wußte sie, daß es unfreundlich klang. Aber was hätte sie sonst erwidern sollen? Sie stand neben Artus, und als sie aufblickte, bemerkte sie, wie Gawain sie leicht mißbilligend musterte. Lot war nur Christ, weil es seinen Zwecken diente, aber Gawain war auf seine schlichte Art aufrichtig gläubig. Seine Mißbilligung forderte Morgaine heraus. Sie hatte ebensogut ein Recht hierzusein wie Gawain. Es wäre lustig zu erleben, wie diese hochmütigen Ritter am Beltanefeuer ihre edlen Manieren verlören! Artus hatte geschworen, Avalon ebenso zu ehren wie die Kirche der Christen. Bis jetzt war an Artus' Hof nicht viel davon zu spüren. Vielleicht war sie deshalb hier?
Gwenhwyfar sagte: »Ich hoffe, wir werden Freundinnen sein, Schwester. Ich erinnere mich, wie Ihr und der edle Lancelot mich wieder auf den rechten Weg geführt habt, als ich mich in den schrecklichen Nebeln verirrte… mir läuft heute noch ein Schauder über den Rücken, wenn ich daran denke.«
Dabei sah sie Lancelot an, der hinter Artus stand. Morgaine folgte ihrem Blick und fragte sich, weshalb Gwenhwyfar sich an ihn wandte. Dann wurde ihr klar, daß die neue Königin nicht anders konnte. Sie hing an Lancelots Augen, als sei sie an ihn gebunden… und Lancelot sah Gwenhwyfar an wie ein hungriger Hund einen saftigen Knochen. Wenn Morgaine dieses zerbrechliche rosa und weiße Geschöpf wieder in Lancelots Gegenwart treffen mußte, dann war es ganz gut, daß es in dem Augenblick geschah, in dem Gwenhwyfar einen anderen heiraten sollte. Noch immer spürte sie Artus' Hand in der ihren, und es beunruhigte sie. Auch dieses Band würde zerbrechen, wenn Gwenhwyfar in seinen Armen lag. Gwenhwyfar würde seine Göttin werden, und er würde Morgaine nie mehr auf diese beunruhigende Weise ansehen. Sie war Artus' Schwester, nicht seine Geliebte. Ihr Sohn war nicht sein Sohn, sondern der Sohn des Gehörnten. Und daran durfte sich nichts ändern.
Aber ich habe das Band auch nicht zerrissen. Nun ja, ich war nach der Geburt darniedergelegen und hatte keine Lust gehabt, wie ein reifer Apfel in Lots Bett zu fallen. Deshalb spielte ich die Keusche, wenn er meiner ansichtig wurde.
Sie sah Lancelot an in der Hoffnung, seinen Blick von Gwenhwyfar abzulenken. Er lächelte, sah aber durch sie hindurch. Gwenhwyfar nahm Morgaine an der Hand und griff mit der anderen nach Igraines Hand.
»Bald werdet ihr Schwester und Mutter für mich sein«, sagte sie. »Denn ich habe keine Schwester oder Mutter mehr. Kommt und steht neben mir, wenn wir den Bund der Ehe eingehen, Mutter und Schwester. «
Morgaine mochte sich noch so sehr gegen Gwenhwyfars Liebenswürdigkeit wehren, diese Worte rührten sie. Sie erwiderte den Druck der warmen kleinen Finger. Igraine berührte Morgaines Hand, und Morgaine sagte: »Ich hatte noch keine Zeit, Euch gebührend zu begrüßen, Mutter.« Sie ließ Gwenhwyfars Hand einen Augenblick lang los und küßte Igraine. Die drei Frauen umarmten sich kurz, und Morgaine dachte:
]a, vor der Göttin sind alle Frauen Schwestern.
»Nun«, sagte der Merlin freundlich, »laßt uns die Ehe besiegeln und bezeugen. Dann können wir feiern und fröhlich sein.«
Morgaine fand, der Bischof wirke sehr streng, aber auch er sagte verbindlich: »Unsere Herzen sind erhoben und in Liebe vereint. Nun wollen wir fröhlich sein, wie es sich an einem solchen verheißungsvollen Tag Christen geziemt.«
Morgaine stand während der Zeremonie neben Gwenhwyfar und spürte, wie sie zitterte. Ihre Gedanken kehrten zum Tag der Hirschjagd zurück. Das Ritual hatte sie damals erregt und in Verzückung
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