Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Luft ist ein Heilmittel gegen alle Leiden«, sagte er. »Ich kann mir gut vorstellen, daß Ihr Euch hier langweilt. Nein, nein… ich bin nicht gekommen, um Euch Vorwürfe zu machen!« fügte er freundlich hinzu. »Artus hat mir die frohe Neuigkeit verkündet. Und wie wir alle bin auch ich sehr glücklich. Ich ganz besonders… nicht viele Männer leben lange genug, um ihre Urenkel zu sehen.« Sein faltiges, altes Gesicht schien vor Wohlwollen zu strahlen. »Wenn ich irgend etwas für Euch tun kann, Herrin, müßt Ihr es nur befehlen. Schickt man Euch Obst und Gemüse, oder bekommt Ihr nur die Rationen der Soldaten?«
Gwenhwyfar versicherte ihm, sie habe alles, was sie sich wünschen könne – man brachte ihr jeden Tag einen Korb mit den besten Dingen, die es gab… sagte Taliesin aber nicht, daß sie mit wenig Appetit aß.
Sie berichtete ihm von Igraines Tod, daß sie in Tintagel begraben lag, und daß sie ihr noch kurz vor dem Tod das Kind angekündigt hatte.
Über das Gesicht sprach sie nicht, fragte aber, während sie den alten Mann besorgt ansah: »Wißt Ihr, wo sich Morgaine aufhält? Sie ist noch nicht einmal ans Totenbett ihrer Mutter gekommen!«
Der Merlin schüttelte bedächtig den Kopf. »Es tut mir leid, ich weiß es nicht.«
»Aber das ist unerhört, daß Morgaine ihre Verwandten im unklaren läßt, wohin sie gegangen ist.«
»Es könnte sein, daß sie… wie manche Priesterinnen von Avalon… eine innere Aufgabe zu lösen oder sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat, um Erleuchtung zu finden«, überlegte Taliesin und wirkte besorgt. »In diesem Fall hätte man mir nichts gesagt. Aber ich glaube, wenn sie in Avalon wäre, wo meine Tochter mit den Priesterinnen lebt, wüßte ich es.« Er seufzte. »Morgaine ist erwachsen, und sie muß niemanden um Erlaubnis bitten, wenn sie kommt oder geht.«
Es geschah Morgaine nur recht, dachte Gwenhwyfar, wenn sie hartnäckig und gottlos ihren Willen durchsetzte und dabei zu Schaden kam! Sie ballte die Fäuste, ohne dem Druiden zu antworten, und senkte den Kopf, damit er ihre Wut nicht sah… er dachte nichts Schlechtes von ihr, und das sollte auch so bleiben. Allerdings hätte Taliesin ohnedies nichts bemerkt, denn Elaine zeigte ihm gerade das Banner.
»Seht, guter Vater, so verbringen wir die Tage unserer Gefangenschaft.«
»Es wächst schnell«, sagte der Merlin lächelnd. »Ich sehe wohl, die Zeit ist kurz… wie sagen Eure Priester: Müßiggang ist aller Laster Anfang! Und hier hat das Laster keine Heimat, denn Ihr beide seid so emsig wie die Bienen. Ich kann mir bereits das wundervolle Bild vorstellen.«
»Und ich habe bei der Arbeit gebetet«, sagte Gwenhwyfar trotzig. »In jeden Stich wob ich ein Gebet, daß Artus und das Kreuz Christi über die Sachsen und ihre heidnischen Götter triumphieren mögen! Macht Ihr mir keinen Vorwurf daraus, Ehrwürdiger Merlin, daß ich das tue, während Ihr doch Artus auffordert, unter dem heidnischen Banner zu kämpfen?«
Der Merlin antwortete mild: »Kein Gebet ist je verschwendet, Gwenhwyfar. Denkt Ihr, wir beten nicht? Als Artus das große Schwert Excalibur erhielt, ruhte es in einer Scheide, in die eine Priesterin Gebete und Zauber für seine Sicherheit und seinen Schutz gewebt hatte. Und in den fünf Tagen, in denen sie daran arbeitete, fastete und betete sie. Und sicher ist Euch aufgefallen, daß Artus kaum blutet, wenn er einmal verwundet wird.«
»Ich möchte ihn nicht durch Zauberei, sondern von Christus geschützt wissen«, entgegnete Gwenhwyfar erregt.
Der alte Mann lächelte und sagte: »Gott ist der Eine, und es gibt nur einen Gott… alles andere ist nur der Versuch von Unwissenden, Göttern eine Gestalt zu geben, die sie verstehen… wie das Bild Eurer Jungfrau hier, Herrin. Auf dieser Welt geschieht nichts ohne den Segen des Einen, der uns nach seinem Willen Sieg oder Niederlage schenkt. Drache und Jungfrau sind Zeichen für das Höhere, an das die Menschen glauben.«
»Aber würdet Ihr es nicht verurteilen, wenn das Drachenbanner heruntergeholt und die Standarte der Jungfrau den Legionen vorangetragen würde?« fragte Gwenhwyfar angriffslustig. Er stand nun dicht neben ihr und fuhr mit seiner faltigen Hand über die leuchtende Seide.
»Etwas so Schönes«, sagte er freundlich, »das mit solcher Liebe gemacht ist, kann ich doch nicht verdammen? Aber es gibt Menschen, die das Drachenbanner ebenso lieben wie Ihr das Kreuz Christi… würdet Ihr ihnen nehmen, was ihnen heilig ist, Königin? In
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