Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
ihre Gedanken nur um Viviane – auf diese Weise mußte sie nicht über das nachdenken, was zwischen ihr und Lancelot vorgefallen war. Jedesmal, wenn es ihr wieder in den Sinn kam, brannte die Scham sie wie ein glühendes Eisen. Sie hatte sich ihm in aller Aufrichtigkeit und in der alten Weise dargeboten, aber er wollte nichts anderes von ihr als kindische Spiele, die ihrer Weiblichkeit spotteten. Sie wußte nicht, ob sie ihm oder sich zürnte; ob sie wütend war, weil er so mit ihr gespielt, oder weil sie sich nach ihm verzehrt hatte… Ab und an bedauerte sie ihre grausamen Worte. Warum hatte sie ihn nur beschimpft? Er war, wie die Göttin ihn geschaffen hatte – nicht schlimmer und nicht besser. Während sie nach Osten ritt, glaubte sie immer wieder, alles sei ihre Schuld.
Gwenhwyfars Hohn ging ihr nicht aus dem Sinn:
Klein und häßlich wie eine Fee.
Hätte sie ihm mehr geben können, wäre sie so schön wie Gwenhwyfar… wäre sie zufrieden gewesen mit dem, was er ihr gab… dann gewannen wieder die anderen Gedanken Oberhand. Lancelot hatte sie und die Göttin beschimpft… Unter solchen Qualen ritt sie durch das grüne Hügelland, und nach einer Weile richtete sie ihre Gedanken auf das, was sie in Avalon erwartete.
Sie hatte die Heilige Insel ohne Erlaubnis verlassen. Sie hatte sich von ihrem Priesteramt losgesagt und sogar das kleine Sichelmesser ihrer Weihe zurückgelassen. Seit dieser Zeit kämmte sie ihr Haar tief in die Stirn, damit niemand den blauen Halbmond dort sehen sollte. In einem der Dörfer tauschte sie einen kleinen goldenen Ring gegen blaue Farbe, wie die Stammesfrauen sie benutzten, und zog das verblaßte Zeichen nach:
All das ist mir widerfahren, weil ich die Eide brach, die ich der Göttin geschworen habe…
Dann erinnerte sie sich daran, was Lancelot in seiner Verzweiflung gesagt hatte. Es gab weder Götter noch Göttinnen; sie waren gedachte Vorbilder, die die Menschen aus Angst vor dem Unbegreiflichen geschaffen hatten. Aber selbst wenn das stimmte, würde es ihre Schuld nicht verringern.
Gleichgültig, ob die Göttin die Gestalt annahm, die man ihr gab, oder ob die Göttin nur ein Name für das große unbekannte Wesen der Natur war; sie hatte das Heiligtum und die Lebens-und Denkweise verlassen, der sie sich verschworen hatte; und sie war gegen den großen Gezeitenstrom des Lebens und der Erde geschwommen. Sie hatte Speisen gegessen, die einer Priesterin verboten waren; sie hatte das Leben von Vierbeinern, Vogel und Pflanze genommen, ohne dem Teil der Göttin zu danken, der für ihr Wohlergehen geopfert wurde; sie hatte ohne Gedanken gelebt; sie hatte sich einem Mann hingegeben, ohne den Willen der Göttin, den Sonnenkreis zu befragen, nur aus Gier und Wollust. Nein, sie konnte nicht erwarten, daß nach ihrer Rückkehr alles wieder war wie früher.
Während sie so durch die Hügel ritt, durch fruchtbare Felder und lebenspendenden Regen, wurde ihr mit immer größerer Pein bewußt, wie weit sie sich von den Lehren Vivianes und Avalons entfernt hatte.
Die Kluft ist tiefer, als ich glaubte. Selbst wer die Felder als Christenmensch bearbeitet, führt ein Leben, das ihn weit von der Erde entfernt. Sie sagen, ihr Gott habe ihnen Macht über alle Pflanzen und alle Tiere gegeben. Aber wir, die wir in den Hügeln, in den Sümpfen, in den Wäldern und auf den Feldern leben, wissen, daß wir keine Macht über die Natur haben. Sie hat Macht über uns; vom Augenblick an, in dem der Trieb sich in den Lenden unserer Väter regt und die Begierde unserer Mütter uns in ihren Leib bringt, stehen wir unter ihrer Herrschaft. Auch dann, wenn wir im Leib heranwachsen und geboren werden, inmitten von Pflanzen und Tieren, die ihr Leben lassen müssen, um uns zu nähren, zu kleiden und uns Kraft zum Leben geben… Alles, alle diese Dinge stehen unter der Herrschaft der Göttin, und ohne ihre Barmherzigkeit und Gnade würde keiner von uns auch nur einen Atemzug tun; alles Leben würde erlöschen.
Auch wenn die Zeit der Unfruchtbarkeit und des Todes kommt, damit andere an unsere Stelle treten, ist das ihr Walten. Sie ist nicht nur die Grüne Herrin der fruchtbaren Erde, sondern auch die Dunkle Herrin des Samenkorns, das verborgen unter dem Schnee liegt, die Herrin des Raben und des Falken, die dem Langsamen den Tod bringt; die Herrin der Würmer, die im Verborgenen wirken, um alles zu zerstören, dessen Zeit abgelaufen ist. Ja, die Göttin ist auch Unsere Herrin über Zerfall, Auflösung und Tod.. .
Diese
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