Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
stehenblieb und nachdachte,
mußte
sie den Weg finden… Aber Angst stieg in ihr auf.
Ich kann nicht zurück. Ich kann nicht zurück nach Avalon. Ich bin nicht würdig… Ich kann den Weg durch die Nebel nicht finden…
Am Tag der Prüfung vor der Weihe hatte sie einen Augenblick lang dieselbe Angst empfunden, konnte sie aber entschlossen überwinden.
Damals war ich jünger und unschuldig. Ich hatte die Göttin nicht verraten und nicht die geheimen Lehren. Ich hatte das Leben nicht verraten …
Morgaine kämpfte gegen das aufsteigende Entsetzen. Angst war jetzt das schlimmste! Angst würde sie jedem Unheil auf Gnade und Barmherzigkeit ausliefern. Die wilden Tiere würden ihre Angst wittern und sie angreifen, während sie vor dem Mutigen flohen. Deshalb konnte der tapferste Mann unbehelligt im Rudel der Hirsche rennen – solange die Tiere nicht seine Angst rochen… Morgaine überlegte, ob die Jäger ihre Körper mit der blauen Farbe beschmierten, um den Geruch der Angst zu überdecken. Vielleicht war der wirklich tapfere Mann oder die wirklich tapfere Frau jemand, der sich nicht vorstellte, was geschehen konnte, wenn… Hier gab es nichts, das ihr etwas zuleide tun konnte, selbst wenn sie sich im Reich der Feen befand. Das erste Mal hatte die Frau sie zwar verspottet, sie aber nicht bedroht. Die Feen waren älter als selbst die Druiden. Aber auch sie lebten nach dem Willen und unter der Herrschaft der Göttin. Vielleicht würde eine von ihnen ihr den Weg weisen. Auf jeden Fall hatte sie nichts zu befürchten. Schlimmstenfalls würde sie niemandem begegnen und die Nacht einsam unter den Bäumen verbringen müssen.
Jetzt sah sie Licht… war es eine der Lampen, die im Hof vor dem Haus der Jungfrauen brannten? Dann würde sie bald zu Hause sein. Sonst würde sie nach dem richtigen Weg fragen, wer immer ihr auch begegnen mochte. Hatte sie sich auf die Insel der Mönche verirrt, würde sie einem Fremden begegnen, und er würde sich vor ihr fürchten und sie für eine Fee halten? Sie überlegte, ob diese Frauen nicht von Zeit zu Zeit bei den Mönchen auftauchten, um sie zu versuchen. Es war nur verständlich, daß hier im Schrein der Göttin ein Mönch mit etwas mehr Vorstellungskraft als die anderen die Schwingungen des Ortes spürte. Er würde erkennen, daß sein Leben einer Verweigerung der Lebenskräfte gleichkam, die den Puls der Welt zum Schlagen brachten. Die Mönche verleugneten das Leben, anstatt es zu bejahen… das Leben des Herzens und das Leben der Natur ebenso wie das Leben, das im Wesen von Mann und Frau pulsierte…
Wäre ich Herrin von Avalon, würde ich in den Neumondnächten die Jungfrauen zum Kloster der Christenpriester senden, um ihnen zu beweisen, daß man die Göttin nicht verspotten oder verleugnen kann. Die Mönche müßten erkennen, daß sie Männer sind und Frauen keine Erfindung ihres angeblichen Teufels. Und die Göttin würde nach ihrem Willen mit ihnen verfahren. .. ja, an Beltane oder zur Sommersonnenwende …
Oder würden die verrückten Christenpriester die Jungfrauen vertreiben und sie für Dämonen halten, die kamen, um die Gläubigen zu versuchen? Einen Augenblick
lang glaubte sie die Stimme des Merlin zu hören:
Alle Menschen sollen die Freiheit haben, dem Gott ihrer Wahl zu dienen …
Morgaine überlegte:
Auch einem Gott, der das Leben der Erde verleugnet?
Aber sie wußte, Taliesin hätte geantwortet:
Ja, auch einem solchen Gott.
Jetzt erkannte sie deutlich eine Fackel zwischen den Bäumen, deren gelbe und blauen Flammen am Ende einer langen Stange loderten. Der Feuerschein blendete sie, und sie sah erst nach einigen Augenblicken den Mann, der die Fackel hielt. Er war klein und dunkel, weder Mönch noch Druide. Er trug einen Lendenschurz aus geflecktem Hirschfell und über den nackten Schultern eine Art Umhang. Er sah aus wie einer der Männer der Stämme, allerdings war er etwas größer. Er hatte langes dunkles Haar und trug einen Kranz aus buntem Laub auf dem Kopf – Herbstblätter, aber es war doch noch Sommer! Irgendwie fürchtete sich Morgaine, obwohl er sie sanft und melodisch in einer uralten Sprache begrüßte. »Sei willkommen, Schwester, hast du dich verirrt?
Folge mir. Ich führe dein Pferd… Ich kenne den Weg.« Wie merkwürdig, man schien sie erwartet zu haben.
Morgaine folgte ihm wie im Traum. Der Weg wurde fester und begehbarer. Die Fackel erhellte die dunstige Dämmerung. Er führte das Pferd vor ihr her, aber hin und wieder drehte er sich lächelnd nach
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