Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
»Ich werde Euch beim Ankleiden behilflich sein, Herrin.« Vorsichtig begann er sie auszukleiden. Bekümmert nahm er die halbnackte Königin in die Arme.
»Wenn ich daran denke, daß dieses Tier gewagt hat, dich zu berühren …«, sagte er und preßte sein Gesicht an ihre Brüste. »Ich liebe dich und wage kaum, dich auch nur zu streicheln…« Und trotz all ihrer Treue war es dazu gekommen! Gott hatte ihre Tugend und Selbstbeherrschung dadurch belohnt, daß er sie in Meleagrants Hände fallen ließ, damit sie willenlos geschändet wurde. Lancelot schenkte ihr Liebe und Zärtlichkeit. Er hatte sich zum Verzicht durchgerungen, damit er seinen König nicht betrog… und nun mußte er Zeuge dieser schändlichen Tat werden! Gwenhwyfar wandte sich um und legte ihrem Ritter die Arme um den Hals.
»Lancelot«, flüsterte sie, »meine einzige Liebe, mein Geliebter… nimm die Erinnerung an das, was er mir angetan hat, von mir… laß uns noch eine Weile hierbleiben…«
Tränen strömten aus seinen Augen. Er legte Gwenhwyfar sachte auf das Bett und liebkoste sie mit zitternden Händen.
Gott hat mir meine Tugend nicht gelohnt.
'
Weshalb soll ich glauben, daß er mich bestraft?
Und dann erschrak sie vor ihren eigenen Gedanken:
Vielleicht gibt es gar keinen Gott, vielleicht auch keine der vielen Götter, an welche die Menschen glauben. Vielleicht war alles nur eine ungeheure Lüge der Priester, damit sie den Menschen vorschreiben konnten, was sie zu tun und zu lassen hatten – was sie glauben mußten. Und so konnten sie sogar dem König befehlen!
Gwenhwyfar richtete sich auf und zog Lancelot auf das Bett. Ihr geschundener Mund suchte seine Lippen; ihre Hände glitten verlangend über den geliebten Körper – diesmal ohne Furcht und ohne Scham. Ihr war nun alles gleich; nichts hinderte sie mehr. Und Artus? Artus hatte sie vor der Vergewaltigung nicht schützen können. Sie hatte erlitten, was sie erleiden mußte, und nun würde sie endlich auch dies haben. Auf des Königs Betreiben hatte sie Lancelot zum ersten Mal in den Armen gehalten. Jetzt würde sie tun, was
sie
wollte.
Zwei Stunden später ritten beide Seite an Seite aus der Burg. Sie hielten sich an den Händen, und Gwenhwyfar machte sich deshalb keine Sorgen mehr. Mit hocherhobenem Haupt blickte sie Lancelot voll Freude und Glück in die Augen. Er war ihre wahre und einzige Liebe, und sie würde sich nie mehr die Mühe machen, es vor einem Menschen zu verbergen.
5
Am Ufer von Avalon gingen die Priesterinnen mit Fackeln in den Händen langsam den gewundenen Pfad am Schilf entlang … Ich hätte bei ihnen sein sollen, aber aus irgendeinem Grund konnte ich es nicht… Viviane wäre zornig auf mich gewesen, weil ich nicht dort war. Aber ich schien am anderen Ufer zu stehen, unfähig, das Wort auszusprechen, das mich zu ihnen bringen würde.
Raven war bei ihnen, ihr blasses Gesicht wirkte älter, als ich es in Erinnerung hatte. Ihre Schläfen leuchteten weiß… die Haare fielen ihr locker auf die Schultern. War es möglich, daß sie immer noch zu den Jungfrauen gehörte, von niemandem außer den Göttern berührt? Ihre weißen Gewänder bewegten sich im Wind, der die Fackeln aufglühen ließ. Wo war Viviane, die Herrin vom See? Das Heilige Boot wartete am Ufer der Ewigkeit, aber sie kam nie mehr zur Insel der Göttin … aber wer war das, die Gestalt mit dem Schleier und dem Kranz der Herrin?
Ich hatte sie noch nie gesehen… nur in meinen Träumen… Das dichte helle Haar von der Farbe reifen Korns lag wie eine geflochtene Krone über ihrer Stirn, aber an der Seite, wo das kleine halbmondförmige Messer der Priesterin hängen sollte
… o
Göttin! Welche Lästerung! An ihrem weißen Gewand hing ein silbernes Kruzifix. Ich kämpfte gegen unsichtbare Fesseln, um vorzustürmen und ihr dieses gotteslästerliche Ding abzureißen. Aber Kevin trat dazwischen und hielt meine Hände fest, umklammerte sie mit seinen knochigen Krallenfingern, die wie mißgestaltete Schlangen nach mir schnappten… und dann wand er sich in meinen Händen… die Schlangen schlugen ihre Zähne in mich.. .
»Morgaine! Was ist los?« Elaine schüttelte die Schlafende an den Schultern. »Was ist los? Du hast soeben aufgeschrien…«
»Kevin«, murmelte Morgaine und setzte sich auf. Ihre langen rabenschwarzen Haare umflossen sie wie dunkles Wasser. »Nein, nein, du warst es nicht… aber sie hatte blonde Haare wie du und ein Kruzifix…«
»Du hast geträumt, Morgaine«, beruhigte sie Elaine,
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