Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
»wach auf!«
Morgaine blinzelte. Ein Schauer durchlief sie. Dann holte sie tief Luft, sah Elaine mit gewohnter Gelassenheit an und erklärte: »Es tut mir leid… ein böser Traum.« Nur in ihren Augen spiegelte sich noch das Entsetzen. Elaine fragte sich, was für Träume die Schwester des Königs wohl quälen mochten. Ja, es mußten böse Bilder sein, denn sie kam von der Insel der Hexen und Zauberer… trotzdem war ihr Morgaine nie als eine böse Frau erschienen. Aber wie konnte eine Frau gut sein, wenn sie die Teufel verehrte und Christus schmähte? Sie wandte sich ab und sagte: »Wir müssen aufstehen, Base. Ein Bote hat gestern abend die Nachricht gebracht, daß der König heute zurückkehrt.«
Morgaine nickte. Sie erhob sich und zog ihr Unterkleid aus; Elaine blickte sittsam zur Seite. Morgaine schien keine Scham zu kennen… hatte sie nie gehört, daß die Sünde durch den Körper einer Frau auf die Welt gekommen war? Jetzt stand sie unbekümmert nackt vor ihrer Truhe und suchte ein Festgewand. Elaine begann sich ebenfalls anzukleiden.
»Beeile dich, Morgaine, wir müssen zur Königin…«
Morgaine antwortete lächelnd: »Nicht zu schnell, Base. Wir müssen Lancelot Zeit lassen, sich zurückzuziehen. Gwenhwyfar würde es dir nicht danken, wenn du einen Skandal hervorrufen würdest.«
»Morgaine, wie kannst du so etwas sagen? Nach allem, was geschehen ist, ist es mehr als vernünftig, daß Gwenhwyfar nicht mehr allein schlafen möchte und wünscht, daß ihr Ritter vor ihrer Tür wacht… Und welch ein Glück, daß Lancelot gerade noch rechtzeitig kam, um sie vor dem Schlimmsten zu bewahren…«
»Elaine, sei nicht dümmer als du sein
mußt«,
entgegnete Morgaine ergeben. »Glaubst du wirklich daran?«
»Du mit all deiner Magie weißt es natürlich besser!« fauchte Elaine so laut, daß die anderen Hofdamen die Köpfe drehten, um zu hören, worüber die Schwester des Königs mit der Nichte der Königin stritt.
Morgaine senkte die Stimme und antwortete: »Glaube mir, ich möchte ebenso wenig einen Skandal wie du. Gwenhwyfar ist meine Schwägerin und Lancelot mein Vetter. Artus sollte Gwenhwyfar weiß Gott nicht für das Unglück mit Meleagrant tadeln… Armes Ding, es war nicht ihre Schuld, und zweifellos muß man darauf beharren, daß Lancelot zur rechten Zeit zu ihrer Rettung kam. Aber ich bin sicher, daß Gwenhwyfar Artus unter vier Augen berichten wird, wie Meleagrant sie mißbraucht hat… Nein, nein, Elaine, ich habe sie gesehen, als Lancelot sie von der Insel zurückbrachte und gehört, wie sie sagte, ihre einzige Angst sei, daß dieser verdammte Schurke ihr vielleicht ein Kind gemacht habe!«
Elaine wurde leichenblaß. »Aber er ist ihr Bruder«, flüsterte sie. »Lebt wirklich ein Mann unter der Sonne, der eine
solche
Sünde begehen könnte?«
»Oh, Elaine! Was bist du doch für eine Gans!« sagte Morgaine. »Ist
das
in deinen Augen das Schlimmste daran?«
»Und du behauptest… Lancelot schläft in ihrem Bett, wenn der König abwesend ist?«
»Mich überrascht es nicht, und ich glaube, es ist auch nicht das erste Mal«, entgegnete Morgaine. »Sei doch vernünftig, Elaine… gönnst du es ihr nicht? Nach allem, was Meleagrant ihr angetan hat, hätte es mich nicht überrascht, wenn Gwenhwyfar von keinem Mann mehr etwas wissen wollte. Und ich bin um ihretwillen froh, wenn Lancelot diese Wunde heilt. Vielleicht wird Artus sie jetzt verstoßen, damit er von einer anderen Frau einen Sohn bekommt.«
Elaine starrte sie an und sagte: »Vielleicht geht Gwenhwyfar in ein Kloster… sie hat mir einmal gesagt, sie wäre im Kloster von Glastonbury glücklicher. Aber wird man sie dort aufnehmen, wenn sie den Reiterobersten ihres Gemahls als Geliebten hatte? Oh, Morgaine, ich schäme mich so für sie!«
»Es hat nichts mit
dir
zu tun«, erklärte Morgaine. »Warum machst du dir Sorgen darum?«
Elaine wurde von der eigenen Heftigkeit überrascht, mit der sie erwiderte: »Gwenhwyfar hat einen Mann. Sie ist die Gemahlin des Großkönigs. Und Artus ist der ehrenhafteste und liebenswürdigste König, der je über dieses Land geherrscht hat! Sie muß doch nicht bei einem anderen Mann die Liebe suchen, die sie braucht! Und wie soll Lancelot eine Frau finden, wenn die Königin die Hand nach ihm ausstreckt?«
»Nun«, antwortete Morgaine, »vielleicht werden sie jetzt beide den Hof verlassen. Lancelot besitzt Ländereien in der Bretagne, und sie lieben sich schon lange genug. Obwohl ich glaube, daß sie bis zu
Weitere Kostenlose Bücher