Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
vermißte. Niemand würde nach ihr suchen, ehe Meleagrant nicht mit seiner Tat prahlte und sich als der Gefährte der Tochter des Königs Leodegranz ausrufen ließ. Aus freien Stücken und in Begleitung zweier Ritter der Tafelrunde war sie hierhergekommen. Doch erst nachdem Artus von der Südküste nach Camelot zurückgekehrt war – und selbst dann konnten noch eine Woche oder zehn Tage verstreichen –, würde man Verdacht schöpfen.
Morgaine, warum habe ich nicht auf dich gehört? Du hast mich vor diesem Verräter gewarnt, Morgaine…
Einen Augenblick lang glaubte sie das blasse, leidenschaftslose Gesicht ihrer Schwägerin vor sich zu sehen. Morgaine sah sie ruhig und leicht spöttisch an. Gwenhwyfar erblickte sie so deutlich, daß sie sich verblüfft die Augen rieb – machte Morgaine sich über sie lustig? Nein, es war nur eine Lichtspiegelung, die so schnell verschwand, wie sie gekommen war.
Wenn sie mich doch nur sehen könnte mit ihrem Gesicht… Vielleicht würde sie jemanden zu meiner Rettung entsenden… Nein, Morgaine würde es nicht tun. Sie haßt mich und verspottet mich noch in meinem Unglück…
Doch dann erinnerte sie sich: Morgaine mochte lachen und spotten, doch sobald jemand im Unglück war, konnte niemand freundlicher und hilfsbereiter sein als sie. Wie hingebungsvoll hatte Morgaine sie nach ihrer Fehlgeburt gepflegt! Und gegen ihren Willen hatte die Schwägerin sich überreden lassen, ihr mit einem Zauber zu helfen. Vielleicht haßte Morgaine sie gar nicht. Vielleicht benutzte Morgaine ihren Spott nur als Schutz gegen Gwenhwyfars Stolz und ihre Abscheu vor den Zauberinnen aus Avalon… Die Gegenstände im Raum begannen, im Dämmerlicht zu verschwimmen. Hätte sie doch nur daran gedacht, um ein Licht zu bitten. Es sah so aus, als müsse sie noch eine Nacht als Gefangene hier verbringen. Vielleicht kam Meleagrant sogar zurück… Der bloße Gedanke daran erfüllte sie mit namenlosem Entsetzen. Ihr Körper war wund, und Schmerzen brannten auf ihrer Haut; ihre Lippen waren dick und geschwollen; sie hatte blaue Flecken an den Schultern und vermutlich auch im Gesicht. Solange sie allein in dieser Kammer war, konnte sie ruhig sinnieren, wie sie sich zur Wehr setzen und ihn vielleicht sogar vertreiben konnte. Aber Gwenhwyfar dachte voll Grauen daran, daß sie angstvoll zurückweichen und ihn gewähren lassen würde, wenn Meleagrant sie noch einmal berührte. Sie fürchtete sich so sehr vor seinen Schlägen, vor seiner Roheit… Wie konnte Artus ihre Feigheit vergeben? Sie hatte nach ein paar Schlägen aufgegeben… sich nicht zur Wehr gesetzt… Wie sollte er sie wieder als seine Königin aufnehmen, sie lieben und ehren, nachdem sie zugelassen hatte, daß ein anderer Mann sie mißbrauchte. ..?
Artus hatte sich nicht daran gestoßen, als sie und Lancelot… er hatte sich sogar daran beteiligt… Wenn dies eine Sünde war, dann nicht allein ihre; sie hatte sich dem Willen ihres Gemahls gefügt… Aber Lancelot war sein Verwandter und sein bester Freund… Aus dem Hof drang Lärm herauf. Gwenhwyfar eilte ans Fenster und horchte angestrengt. Von irgendwoher drangen Geräusche – Rufe, Schreien und Waffengeklirr. Sehen konnte sie nichts, und der Lärm wurde von den Mauern gedämpft. Vielleicht vertrieben sich Meleagrants Barbaren die Zeit mit ein paar derben Spaßen, oder… o
nein, Gott behüte!.. .
ermordeten gerade ihre Begleiter. Sie reckte den Hals, um durch das winzige Fenster zu sehen, aber es gelang ihr nicht.
Gwenhwyfar hörte Geräusche auf der Treppe. Die Tür flog auf. Ängstlich drehte sie sich um, und vor ihr stand Meleagrant mit dem Schwert in der Hand. »Dort hinein«, befahl er rauh und deutete mit dem blanken Eisen auf die kleine Kammer. »Und gebt keinen Laut von Euch, oder es wird Euch übel ergehen!«
Heißt das, jemand ist zu meiner Rettung gekommen?
Meleagrant wirkte gehetzt und verzweifelt.
Langsam wich sie rückwärts in die kleine Kammer. Er folgte ihr mit dem Schwert in der Hand. Gwenhwyfar duckte sich und erwartete jeden Augenblick den tödlichen Streich… Würde er sie umbringen oder als Geisel für seine eigene Flucht benutzen?
Gwenhwyfar sollte es nie erfahren. Meleagrants Kopf barst plötzlich und war nur noch Blut und Gehirn. Quälend langsam brach er zusammen, und auch Gwenhwyfar sank halb ohnmächtig nieder. Aber noch ehe sie den Boden erreichte, fand sie sich in Lancelots Armen.
»Meine Herrin, meine Königin… oh, meine Geliebte…«
Der Ritter preßte sie an
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