Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Leib. Das Seeufer erbebte unter einem wilden Geheul… ein wahnsinniger Todesschrei…
Morgaine sah, wie der riesige Kopf wild hin und her peitschte, vor und zurück… Rasch sprang Lancelot von seinem scheuenden, angstvoll steigenden Pferd und rannte auf das Ungeheuer zu, dessen Kopf nach unten stieß. Und Morgaine zuckte zusammen, als sie sah, wie das große Maul sich öffnete. Listig durchbohrte Lancelots Schwert das Auge des Wurms. Ein mächtiger Blutstrahl schoß empor und widerlich schwarzer Schleim… aber es waren nur die Blasen, die im heißen Wein aufstiegen… Morgaines Herz klopfte heftig. Sie lehnte sich zurück und nahm einen Schluck Wein aus der bauchigen Flasche. War das ein schlimmer Traum gewesen, oder hatte sie wirklich gesehen, wie Lancelot den Drachen tötete, an den sie nie geglaubt hatte? Sie blieb ruhig sitzen, um sich zu erholen und redete sich immer wieder ein, daß sie geträumt habe. Dann zwang sie sich aufzustehen und warf etwas Fenchel in den Kessel. Der starke süße Geschmack würde die anderen Kräuter überdecken. Es sollte stark gesalzenes Fleisch auf die Tafel kommen, damit alle durstig wurden und jeder viel trank, ganz besonders Lancelot. König Pellinore war ein frommer Mann. Was würde er wohl denken, wenn alle Frauen und Männer liebestoll wurden? Nein, nein, sie mußte darauf achten, daß nur Lancelot den Gewürzwein trank. Vielleicht sollte sie Elaine aus Mitleid auch etwas davon geben…
Morgaine füllte den Wein in eine Flasche und stellte sie beiseite. Dann hörte sie lautes Rufen, und Elaine kam atemlos in das Gemach.
»O Morgaine, komm sofort, wir brauchen deine Hilfe… Vater und Lancelot haben den Drachen getötet. Aber sie haben sich dabei verbrannt…«
»Verbrannt? Welch ein Unsinn. Glaubst du wirklich noch an fliegende Drachen, die Feuer speien?«
»Nein, nein«, entgegnete Elaine ungeduldig, »aber der Schleim des Ungeheuers hat sie getroffen, und er brennt wie Feuer… Du mußt ihre Wunden behandeln…«
Ungläubig blickte Morgaine zum Himmel auf. Die Sonne stand tief am westlichen Horizont. Sie hatte beinahe den ganzen Tag mit der Zubereitung des Zaubertranks verbracht. Sie beeilte sich und beauftragte die Mägde, ihr Leinen für die Verbände zu beschaffen. Pellinore hatte eine große Wunde am Arm… ja, es sah tatsächlich nach einer Verbrennung aus. Der Schleim hatte den Stoff seiner Tunika gänzlich aufgelöst. Der König stöhnte entsetzlich, als Morgaine die Wunde mit Heilsalbe bestrich. Lancelot war nur an der Seite leicht verletzt; an einem Bein hatte der Schleim sich durch den Stiefel gefressen. Das Leder war nur noch eine dünne gallertartige Masse.
Er sagte: »Mein Schwert muß ich gründlich säubern. Wenn das Stiefelleder schon so übel zugerichtet ist, stell dir vor, was erst mit meinem Bein geschehen wäre.« Er schauderte.
»Soviel für alle, die meinen Drachen nur für ein Hirngespinst hielten«, erklärte Pellinore, während er schluckweise den Wein trank, den seine Tochter ihm reichte. »Gott sei Dank war ich geistesgegenwärtig genug, meinen Arm mit Seewasser zu waschen; der Schleim hätte ihn ebenso aufgelöst wie meinen armen Hund… habt Ihr ihn noch erkannt, Lancelot?«
»Den Hund? Gewiß«, antwortete der Ritter, »und ich hoffe, so etwas nie wieder sehen zu müssen… Aber Ihr könnt alle in Erstaunen versetzen, wenn Ihr den Drachenkopf über Euerem Burgtor anbringen laßt…«
»Das geht nicht«, erwiderte Pellinore und bekreuzigte sich. »Das Ungeheuer hatte keinen einzigen Knochen. Es war weich wie ein Engerling oder ein Regenwurm… und hat sich bereits in Schleim verwandelt. Ich wollte ihm den Kopf abschlagen, aber er schien sich in Luft aufzulösen… Ich glaube, es war kein richtiges Tier, sondern ein Wesen aus der Hölle!«
»Immerhin ist es tot«, warf Elaine ein, »und Ihr, Lancelot, habt die Aufgabe erfüllt, die der König Euch gestellt hat. Ihr habt den Drachen meines Vaters ein für allemal besiegt.« Sie küßte König Pellinore und sagte zärtlich: »Vergebt mir, Vater. Aber auch ich glaubte, Euer Drache sei nur ein Hirngespinst.«
»Ich wünschte, er wäre nichts als das gewesen«, erklärte Pellinore und bekreuzigte sich noch einmal. »Ich würde mich lieber zum Gespött aller von hier bis Camelot machen, als noch einmal einer solchen Kreatur begegnen zu müssen. Ich wünschte, ich könnte glauben, daß es keine weiteren Ungeheuer mehr gibt… Gawain hat mir Geschichten von Wesen erzählt, die in den Seen
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