AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
nicht, das ganze gewaltige Felsenwesen anzurufen, zu ungewiss war es, was geschehen würde, wenn die Steinmassen in Bewegung gerieten. Der flüchtige, gewaltige Geist des Wassers aber hatte eigene Gesetze, die ihr nicht so vertraut waren wie die des Erdenstoffes, am Ende erzürnte sie ihn nur noch mehr ... Ihre Gaben nützten ihnen nichts, auf diesem wilden Strom waren sie nicht besser dran als der unglückselige Fischer, den die anderen gestern verspottet hatten.
Es knirschte unheilverkündend und eine gewaltige Erschütterung riss sie zurück in ihr eigenes Unglück.
»Was war das?« Etwas hatte die rasende Fahrt des Kahns unterbrochen, er ruckte, von einem unsichtbaren Hindernis gehalten, auf und nieder. Ninian lehnte sich hinaus und sah, dass sie auf einen flachen Felsen aufgelaufen waren, der knapp unter der Wasseroberfläche verborgen lag.
Sie befanden sich in der Mitte des Flusses, zu beiden Seiten stieg das Ufer steil an. Selbst wenn es ihnen gelänge, es schwimmend zu erreichen, was in Jermyns Fall unmöglich schien, würden sogar erfahrene Kletterer wie sie an dem glitschigen Gestein scheitern.
Und das Boot wäre verloren, wie es auch verloren war, wenn sie hier hängenblieben. Das Holzwerk krachte unter der Wucht des Wassers, das gegen den Kahn prallte. Der Kiel musste sich so verfangen haben, dass selbst die Strömung nicht ausreichte, ihn wieder freizumachen.
Abgerissene Äste trieben vorbei, manche so nah, dass ihr Laubwerk gegen die Bootswand peitschte. Wenn sie von einem großen Ast oder entwurzelten Baum gerammt würden, wäre das ihr Ende.
»Tu was, hol einen Wind oder so, aber mach was, verdammt noch mal, ich will nicht auf diesem Scheißfluss verrecken!«, schrie Jermyn.
»Nein, der Wind würde das Gewitter zurückbringen. Ich kann es jetzt nicht beherrschen, ich muss auf das Boot achten. Wenn es kentert ...«
Wenn es kenterte, bedeutete das Jermyns Tod, er würde sich keinen Atemzug lang halten können.
»Nimm den Riemen, ich versuche, den Felsen zu bewegen.«
Sie wechselten erneut die Plätze. Ninian schloss die Augen und zwang sich, das Tosen um sich her zu vergessen.
Im Namen der Mutter, senke dich, glätte dich, gib uns frei! Gehorche der Stimme der Mutter!
Eine Bewegung ging durch das Boot und sie öffnete hoffnungsvoll die Augen.
Nichts hatte sich geändert, die Fluten brachten das Fahrzeug zum Schaukeln - der Felsen hatte sich keinen Fingerbreit gerührt. Sie musste sich gründlicher mit seinem Wesen verbinden.
Hinab in die Tiefe, durch das rasche, quecksilbrige Bewusstsein des Wassers in die vertraute, tiefe, unbewegte Ruhe des Steins.
Jermyn, der den Blick starr auf ihr Gesicht gerichtet hatte, um nicht in den todbringenden Strudel sehen zu müssen, erschrak über die Veränderung, die mit ihr vorging. Sie wurde aschfahl, riss die Augen auf und rang nach Atem wie ein Schwimmer, der sich aus der Tiefe mühsam nach oben gekämpft hat.
»Was ist? Was hast du?«
»Ich kann mich nicht mit ihm verbinden, er gehorcht mir nicht«, würgte sie hervor und sog krampfhaft Luft in ihre Lungen. Nur langsam kehrte die Farbe in ihre Wangen zurück.
Jermyn fluchte, beinahe hätte er den Riemen losgelassen, als eine Welle dagegenschlug. Ninian strich die nassen Haare aus dem Gesicht.
»Wir müssen aussteigen und versuchen, es von dem Felsen herunterzuschieben.«
»Was? Wir sollen da raus?«, er deutete auf das schäumende Wasser, das sich an ihnen vorbeiwälzte. »Du bist verrückt!«
»Ich versuche es. Wo ist das Seil?«
Sie fand es zwischen dem durchnässten Gepäck auf dem Boden, befestigte es mit klammen Fingern an der Ruderbank und band sich das andere Ende um den Leib. Vorsichtig ließ sie sich ins Wasser gleiten. Es war kalt und die Strömung riss ihr die Beine weg, sie klammerte sich an den Rand des Bootes und tastete mit den Füßen nach dem Felsen. Als sie ihn hart und glatt wie Glas unter ihren nackten Sohlen spürte, schrie sie auf. Ihr war, als habe sie in Scherben getreten. Der Schmerz raste durch ihre Beine, er machte sie taub, der Stein sog das Leben aus ihr heraus. Das, was dort im Wasser lag, war fremd, es war ihr feindlich gesonnen, es würde ihr nicht helfen
Mühsam zog sie sich ins Boot zurück.
»Es geht nicht, ich habe keine Kraft, das Ding will mich nicht tragen.«
»Wie kann das sein?«, fragte er ungläubig. Sie sah ihn jammervoll an, das Gesicht nass von Wasser oder von Tränen.
»Ich weiß nicht, es kann kein Geschöpf der Erdenmutter sein, es
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