AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
Gebieten.
»Jermyn?«
»Was?«
Er rührte sich nicht, seine Stimme klang flach und tonlos.
»Weißt du, wohin dieser Fluss fließt?«
»Nee, und ich will es auch nicht wissen. Ich kann auf das ganze verdammte Gewässer verzichten. Mir ist speiübel!«
Ninian schwieg, der Vorwurf in seinen Worten war nicht zu überhören. Aber der Fluss blieb nicht stehen. Sie zog sich auf die Ruderbank und stieß Jermyn unsanft in die Rippen.
»He, schlaf nicht ein. Wir müssen ans Ufer, wer weiß, wo wir sonst landen. Vielleicht kommen sogar wieder Stromschnellen oder ein Wasserfall«, fügte sie hinzu und die kleine List wirkte.
Stöhnend kroch er heran und setzte sich neben sie.
»Also, was?«
Ninian spähte in die zunehmende Dämmerung am Ufer und deutete nach vorne. Der Fluss machte eine leichte Biegung nach links. Eine mächtige Trauerweide wuchs in der Innenseite der Kurve und beugte ihre zarten Zweige weit über das dunkle Wasser.
»Da, wenn wir vorbeitreiben, helfe ich mit der Stange nach und du hältst dich an den Zweigen fest. Wenn wir es geschickt anstellen, retten wir vielleicht sogar das Boot.«
»Wozu? Ich will es nie wieder sehen, das verdammte Ding.«
»Und wie willst du zurückkommen? Zu Fuß?«
»Du kannst doch nicht gegen diese Strömung anrudern. Und noch mal durch diese elenden Felsen? Nee, ohne mich!«
»Ein besseres Training für die Armmuskeln gibt es nicht, großer Meister. Über die Stromschnellen können wir es tragen oder am Seil darüberziehen. Jetzt quatsch nicht, sonst sind wir vorbei.«
»Mach doch, was du willst«, murmelte er missmutig, aber er setzte sich gehorsam an den Rand des Bootes.
Diesmal half ihnen die Strömung, die sie dicht an das Ufer heranführte. Ninian stakte mit der Stange und als sie in das nasse Laub hineinfuhren, griff Jermyn mit beiden Händen zu. Blätter und Zweige schlugen ihm ins Gesicht, rutschten durch seine Finger. Verzweifelt tastete er nach festeren Ästen, die dem Gewicht des Bootes standhielten. Er hakte die Beine unter die Ruderbank und spannte die Muskeln, um den Kahn festzuhalten. Der Sog war stark und er glaubte schon, ihn nicht länger ertragen zu können, als die Spitze herumschwang und durch den Laubvorhang stieß. Ninian hatte mit einem kräftigen Schub die Richtung des Kahns geändert, er lag jetzt quer zur Strömung, so dass sich seine Fahrt verlangsamte. Sie stieß aus Leibeskräften nach und das Boot glitt ganz unter die überhängende Baumkrone.
In der grünen Dämmerung unter den Blättern sahen sie eine kleine Einbuchtung vor sich, in der das Wasser ruhig stand. Schwacher Modergeruch stieg ihnen in die Nase, dichter Bewuchs bedeckte die Wasseroberfläche, gesprenkelt mit welken Blättern vom vorigen Jahr. Das lehmige Ufer stieg nur leicht an und Ninian atmete auf. Es würde nicht schwer sein, das Boot hinaufzuziehen.
»Halt die Stange. Ich sehe nach, wie tief es ist.«
Jermyn nahm ihr die Stange ab und sie ließ sich über den Rand des Bootes gleiten. Das Wasser reichte ihr bis zur Taille, sie ertastete Schlamm und Steine unter ihren bloßen Füßen. Die Strömung war geringer als in der Mitte des Flusses, aber deutlich spürbar.
»Komm rein, du kannst gut stehen«, rief sie Jermyn zu, »wir müssen den Kahn hinaufziehen, sonst schwimmt er uns weg.«
»Na, prächtig, in diese stinkende Brühe«, brummte er ungnädig und betrachtete angeekelt die Schlieren, die sich träge durch den grünen Bewuchs zogen.
»Was willst du denn? Das ist so bei stehendem Wasser, draußen auf dem Fluss war es sauber, aber es hat dir auch nicht gefallen. Los, sei nicht zimperlich.«
Sie lachte, übermütig vor Erleichterung, dass die unfreiwillige Flussfahrt glimpflich abgelaufen war. Er warf ihr einen bösen Blick zu, schwang die Beine über den Bootsrand, ließ sich fallen und verschwand.
»Jermyn!«
Wie gelähmt starrte Ninian auf die schwankende, grüne Decke, die sich über ihm geschlossen hatte. Sie ließ das Boot los und kämpfte sich zu der Stelle an der er versunken war. Nach zwei Schritten fiel der Boden jäh ab, sie rutschte auf dem schlammigen Grund aus und die schmierige Brühe schwappte ihr ins Gesicht. Sie spuckte und hielt paddelnd den Kopf über Wasser. Gerade vor dem Ufer gähnte ein tiefes Loch im Grund des Flusses. Wo sie gestanden hatte, hatte ihr das Wasser nicht einmal bis zur Brust gereicht, aber er, der Nichtschwimmer, war mit untrüglicher Sicherheit in das Schlammloch getappt!
Der Auftrieb müsste ihn jedoch wieder
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