AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
einmal ließ Ninian den Riemen los und riss den Arm in die Höhe. Abgelenkt traf der weiße Strahl nicht das Boot, sondern spaltete einen Baum am Ufer. Der Donner war ohrenbetäubend und knapp bevor die rauchenden Trümmer auf sie stürzten, schossen sie vorbei.
Ninian hatte es aufgegeben, gegen die Strömung zu rudern, das reißende Wasser hätte ihr die Riemen aus der Hand geschlagen. Die Ufer waren dicht zusammengerückt, sie befanden sich auf einem Fluss, der sie aus dem See herausriss. Die dahinschießenden Wellen warfen den kleinen Kahn hin und her, sie klammerte sich an den Bootsrand und versuchte durch den Schleier von Gischt und Regen zu erspähen, was vor ihnen lag.
Von sommerlicher Hitze war nichts mehr zu spüren, das Gewitter hatte die Luft abgekühlt und nun änderte sich der Ton des Regens. Milchige Hagelkörner prallten vom Boot ab in den schäumenden Fluss und prasselten schmerzhaft auf ihre nackten Schultern. Jermyn hatte seinen Kittel über den Kopf gezogen.
»Halt mal, ich muss auch was anziehn«, rief Ninian.
Er kroch zu ihr, wodurch das leichte Boot gefährlich ins Schwanken geriet, und übernahm die Riemen, während sie sich mit dem nassen, widerspenstigen Zeug abmühte. Als sie ihren Platz wieder einnahm, trafen sich ihre Blicke.
Jermyn hatte die Kiefer grimmig zusammengepresst, aber in den schwarzen Augen lauerte die Angst. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Auch ihr bereitete der Gedanke Unbehagen, in diesem Hexenkessel zu kentern, und er vermochte sich kaum bei ruhiger See über Wasser zu halten. Aber noch war es nicht soweit, noch saßen sie im Boot, im Besitz beider Riemen. Sie lächelte aufmunternd, doch er wich ihrem Blick aus und erwiderte das Lächeln nicht.
Ohne dass sie etwas dazu getan hätte, zog das Gewitter weiter, Blitz und Donner folgten nicht mehr so schnell aufeinander und der Regenschleier lichtete sich. Das Boot aber verlangsamte seine rasende Fahrt nicht.
Ninian zwinkerte das Wasser aus den Augen und schaute über Jermyns Schulter hinweg nach vorne.
Am östlichen Ufer konnte sie mächtige Blöcke ausmachen, Ausläufer des Gebirges, aber vor ihnen kochte der Fluss in wütender, weißer Gischt. Entsetzt erkannte sie Felsbrocken, an denen sich die Gewalt des Wassers brach.
Stromschnellen - die Männer im Wirtshaus hatten von Stromschnellen gesprochen.
Jermyn sah den Schrecken in ihrem Gesicht, drehte sich um und als er sich ihr wieder zuwandte, war er kreidebleich.
»Komm neben mich«, schrie sie über das lauter werdende Tosen des Wassers. »Wir müssen uns von den Felsen fernhalten«, sie drückte ihm einen Riemen in die Hand, »versuch das Boot wegzustoßen, wenn wir zu nahe kommen, aber zieh ihn ein, wenn es zu eng wird.«
Sie hatte kaum ausgesprochen, als das Boot über die erste Stufe schoss und die Spitze sich tief in die Wellen bohrte. Im nächsten Augenblick tanzten sie zwischen den Felsen durch das brodelnde Wasser. Kalte Gischt sprühte über sie und Ninian versuchte, das Boot so gut es ging im Fahrwasser zu halten.
Zu anderen Zeiten, wenn der Fluss nicht soviel Wasser führte, mochte es nicht schwierig sein, die Felsbrocken zu umschiffen, sie lagen nicht so dicht, wie Ninian es von den schmalen, reißenden Gebirgsbächen ihrer Heimat kannte. Aber nun schäumte das Wasser mit solcher Wucht zwischen ihnen hindurch, dass das Boot kaum zu steuern war. Immer wieder drohte es gegen Hindernisse zu stoßen, die unter der Oberfläche verborgen waren. Zwei solcher Steinbrocken wurden Jermyns Riemen zum Verhängnis, er verkeilte sich und brach mit hässlichem Knacken. Das breite Ende wurde Jermyn in hohem Bogen aus der Hand gerissen. Von der Wucht des Rückstoßes überrascht, verlor er das Gleichgewicht und wäre dem Holz um ein Haar gefolgt. Ninian hörte seinen Aufschrei, ließ den Riemen los und erwischte seinen Kittel. Fast hätte die Gewalt des Wassers auch ihr den Riemen entrissen. Jermyn schüttelte ihre Hand ab und schrie:
»Kannst du nichts machen? Die Scheißfelsen verschwinden lassen oder diesen Pissfluss anhalten oder so was?«
Ninian schüttelte verzweifelt den Kopf, sie packte den Riemen mit beiden Händen und drückte sich mit aller Kraft von dem felsigen Ufer ab, gegen das die Strömung sie schleuderte.
»Zu schnell, wir sind zu schnell ...«
Der Stoß trieb sie zurück in die Mitte des Flusses. Selbst wenn es ihr gelungen wäre, sich mit einem Felsen zu verbinden, wären sie vorbeigewesen, bevor sie ihn hätte bewegen können. Sie wagte
Weitere Kostenlose Bücher