AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
Es passte ihnen nicht, in ihren morgendlichen Verrichtungen von lästigen Gästen gestört zu werden, und sie murrten, bis Jermyn ihnen Beine machte.
»Warum hast du es so eilig?«, fragte Ninian mürrisch, als sie über zwei Schüsseln pappiger Grütze vom Vortag saßen und sich an dem kochend heißen Tee den Mund verbrannten. Aber Jermyn tat geheimnisvoll.
»Wirst schon sehen,« sagte er mit vollem Mund und Ninian hatte keine Lust, in ihn zu dringen.
»Ich will den Wirt nach unseren Sachen fragen«, begann sie, aber Jermyn unterbrach sie ungeduldig.
»Lass doch den Krempel. Ich will hier weg. Du kümmerst dich jetzt um Futter und ich seh zu, dass ich ein Fuhrwerk auftreibe, das sofort abfährt.«
Wenig später hockten sie auf einem kleinen, aber gut gefederten, zweirädrigen Wagen, der von einem Schirm überspannt wurde. Den Mann auf dem Kutschbock beachteten sie nicht. Mit glasigen Augen trieb er zwei Pferde an, die wenig mit den schweren Karrengäulen der Hinreise gemeinsam hatten. Er würde nach Neri zurückkehren, ohne sich an diese Fahrt zu erinnern.
»Es war das beste, was ich auftreiben konnte«, sagte Jermyn und versuchte, es sich in dem engen Wagen bequem zu machen. »Er fährt zwischen den Sommerhäusern und der Stadt hin und her, damit den reichen Pinkeln nur nicht entgeht, was dort passiert«, er lachte spöttisch »in diesem Jahr ist das seine erste Fahrt, von den hohen Herren ist noch keiner da.«
Ninian flocht die dunklen Locken, die ihr der Fahrtwind ins Gesicht trieb, zu einem Zopf. Jetzt hielt sie inne.
»Warum nicht?«, fragte sie misstrauisch. »Wir haben Hochsommer, da müsste es hier nur so von ihnen wimmeln. Als ich bei unserer schwatzhaften Bauersfrau war, hat sie sich benommen, als habe sie mich noch nie im Leben gesehen. Auf der Straße bin ich dem Alten begegnet, von dem wir das Boot gekauft haben, und als ich ihn deswegen ansprach, hat er mich angesehen, als sei ich von Sinnen. Was hast du angezettelt, Jermyn?«
»Nichts weiter, Süße. Reg dich nicht auf. Tidis hat mich gefragt, in welche Zeit sie uns zurückschicken soll. Ich hab ihr gesagt, dass wir am 17. Tag des Weidemondes wieder in der Stadt sein wollten.«
Er schien sehr zufrieden mit sich und Ninian begann zu rechnen.
»Aber ... aber das liegt eine Woche vor unserem Aufbruch an den Ouse-See.«
»Eben.«
»Deshalb erinnern sich die Leute in Neri nicht an uns? Wir sind noch gar nicht dagewesen? Aber«, sie schüttelte den Kopf, um ihrer Verwirrung Herr zu werden, und der halbgeflochtene Zopf löste sich wieder auf, »aber dann ist das, was wir hier erlebt haben - gar nicht geschehen?«
Sie sah ihn entsetzt an.
»Nur in unserer Erinnerung«, erwiderte er ungerührt, »aber was ist schlimm daran? Auch wenn wir es wirklich erlebt hätten - behalten könnten wir es doch nur in der Erinnerung. Es geht nichts verloren, Liebste.«
Er beugte sich vor und berührte sanft ihr Knie. Eine Weile saß sie wie betäubt, dann fragte sie tonlos:
»Warum hast du das getan, Jermyn?«
Er grinste nur und in seinem Blick lag reine Bosheit.
17./18. Tag des Weidemondes 1465 p.DC.
Gegen Mitternacht betraten sie die Vorhalle ihres Palastes. Nichts rührte sich, Jermyn hatte dafür gesorgt, dass Wag und Kamante fest schliefen. Es war besser für sie, wenn sie nichts von diesem nächtlichen Unternehmen wussten.
Da der missglückte Einbruch nie stattgefunden hatte, war Jermyns grauer Kittel unversehrt und die übrige Ausrüstung fanden sie dort, wo sie sie bereitgelegt hatten. Rasch zogen sie sich um und brachen wieder auf.
Ninian war schweigsam, während sie auf stillen Wegen durch die Stadt liefen. Auch Jermyn brach das Schweigen nicht, er ahnte, dass sie nicht glücklich war. Die seltsame Reise, die hinter - oder vor? - ihnen lag, beschäftigte sie. Aber sie hatte keine weiteren Einwände erhoben und war alle Schritte des geplanten Einbruchs mit ihm durch gegangen.
18. Tag des Weidemondes 1465 p.DC.
Die Tempelglocken hatten die dritte Stunde des neuen Tages eingeläutet, als sie ihr Ziel erreichten. Der Frühlingsmond spiegelte sich silbern in der verkachelten Mauer, mit der die d’Ozairis ihr in südländischer Manier errichtetes Anwesen schützten. In der oberen Hälfte boten breite Schmuckbänder, mit Raubtierköpfen und Blumenrondellen geschmückt, einen zauberhaften Anblick, doch darunter bildete die glasierte Fläche ein spiegelglattes, schwer zu überwindendes Hindernis.
Jermyn hatte sich davon nicht abhalten
Weitere Kostenlose Bücher