AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
Donovan legte seinem Vater das rätselhafte Ding auf die Knie, der alte Mann strich liebkosend über die glatte Oberfläche.
»Es gehörte den Kaiserinnen der Alten Zeit. Nach dem Untergang des Kaiserhauses wurde es im Tempel Aller Götter aufbewahrt. Brock Fitzpolis, dein Urgroßvater und der erste Patriarch hat den damaligen Hohepriester, nun, sagen wir, überredet, es ihm für seine Gemahlin zu überlassen. Sie mochte mich und nach dem Tod meines Vaters hat sie es lieber mir anvertraut als meinem verräterischen Onkel, den sie verabscheute. So konnte ich deine Mutter am Tag unserer Hochzeit damit schmücken. Lösch die Kerzen!«
Donovan tat, wie ihm geheißen. Er biss die Zähne zusammen, als sich die Dunkelheit um ihn legte. Dann hörte er ein leises, metallenes Klicken und im nächsten Moment hatte er seine Angst vergessen.
Kühl und unirdisch schimmerte das weiße Licht eines winterlichen Vollmondes aus dem Kasten und veredelte selbst das feiste, verlebte Antlitz des alten Mannes.
Behutsam hoben die dicken Finger das spinnwebzarte Gebilde heraus und das Licht wurde lebendig, flutete in silbernen Wellen durch das Gemach. Falte um Falte entrollte sich, bis eine leuchtende Wolke den Patriarchen bedeckte. Donovan stockte der Atem.
»Berühre es ...«
Ungläubig tauchte er die Hand in das Licht und fühlte zu seiner Überraschung seidenweiches Gewebe unter den Fingern. Aber es war so kühl, dass ihn schauderte und plötzlich wusste er, was es war.
»Ein ... ein Mondenschleier?«
»Ja, einer der größten und schönsten, den es je gab. Der Hohepriester hat damals behauptet, er habe der Göttin Demaris gehört, der Gründerin Deas. Aber selbst, wenn das Priestergewäsch ist, so ist er doch ein göttliches Wunder, wert, eine Königin zu schmücken. Hilf mir, ihn zusammenzulegen.«
Ehrfürchtig half der junge Mann, den Schleier in seinem Behälter zu verbergen und als er die Kerzen wieder entzündete, wirkte ihr Schein trostlos.
Der Patriarch klopfte auf den Kasten.
»Ein kostbares Stück, für viele begehrenswert. Er erhöht die Schönheit einer Frau ins Göttliche, selbst deine Mutter sah damit ... aber lassen wir das. Sie hat ihn nur zweimal getragen, bei unserer Hochzeit und bei deiner Darbringung im Tempel Aller Götter. Seitdem hat er diesen Kasten nicht mehr verlassen, nach ihrem Tod habe ich ihn an mich genommen und in meinem Bett verborgen«, er runzelte die Stirn, »aber das bedeutet nicht, dass er in Vergessenheit geraten ist. Oh nein, immer wieder sind echte oder angebliche Nachfahren der Sieben an mich herangetreten und haben die Herausgabe des Schleiers als Erbstück ihres Hauses gefordert. Dabei bin nur ich der rechtmäßige Erbe der Sieben, denn ich bin Herrscher von Dea und du wirst es nach mir sein, Donovan. Aber auch andere begehren ihn, deine Stiefmutter würde ihre rechte Hand dafür opfern. Oft hat sie versucht, ihn mir abzuschmeicheln, und in der ersten Zeit, als sie noch neu war und mein Verlangen nach ihr heiß brannte, wäre es ihr fast gelungen. Aber etwas hielt mich zurück und nun bin ich froh, dass ich ihr nicht nachgegeben habe«, der alte Mann schüttelte gedankenverloren den Kopf, »es war das mindeste, was ich für das Andenken deiner Mutter tun konnte.«
Er seufzte, dann verlor seine Stimme den ungewohnt weichen Klang.
»Ich brauche Isabeau, ihre Jugend und Schönheit, aber ich mache mir keine Illusionen über sie. Sie ist ein gieriges kleines Luder und ich werde niemals zulassen, dass sie den Mondenschleier der Kaiserinnen bekommt. Doch ich bin ein alter, kranker Krüppel geworden, der jeden Moment abkratzen kann - spar dir die Widerrede, Junge, ein alter Krüppel, ich sage es noch einmal. Ich fürchte das, was sie tun wird, wenn sie mich tot in meinem Bett findet oder wenn mich Bosco da Gama in der nächsten Ratssitzung zu Tode gelangweilt hat. Sie wird es als erste erfahren, darauf möchte ich wetten und was wird dann aus dem Mondenschleier?«
Wie vor den Kopf geschlagen, hatte Donovan ihm zugehört. Noch nie hatte der Vater so deutlich über seine zweite Gattin gesprochen. Der Patriarch warf ihm einen ungeduldigen Blick zu.
»Um zu verhindern, dass er ihr in die Krallen fällt, habe ich beschlossen, dir den Schleier anzuvertrauen. Du wirst ihn an meiner Stelle aufbewahren. Wenn du eine Dame erwählt hast, die würdig ist, mit dir den Thron von Dea zu teilen, so sollst du sie damit schmücken und ich hoffe, sie wird für dich leuchten wie Demaris für Ulissos
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