AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
dachte er liebevoll an seine Wagengenossin und mit etwas Wehmut auch an ihren rothaarigen Freund.
Es war ihm ein Bedürfnis, seine Dankbarkeit zu zeigen, aber Jermyn schien keinen Wert auf nähere Bekanntschaft zu legen. Nur widerwillig hatte er das schwarzseidene Wams angenommen, das Kaye ihm zum Dank geschenkt hatte. Auf die Frage, ob er nicht seine abgewetzte Lederjacke gegen einen eleganteren Rock vertauschen wolle, hatte er mit einem Blick aus seinen beängstigenden Augen erwidert, die Jacke sei genau das, was er brauche, vielen Dank auch, er habe wichtigeres im Kopf, als sich um Klamotten zu kümmern.
Wenn sie in der Schule des Bullen aufeinandertrafen, behandelte Jermyn ihn mit spöttischer Herablassung und Kaye ahnte, dass er nur wegen Ninian von dem beißenden Hohn verschont blieb, von dem er hin und wieder eine Kostprobe bekam.
Ninian besuchte ihn in seiner Werkstatt, wo er sie mit dem Klatsch und Tratsch unterhielt, den er bei seinen Kundinnen aufschnappte. Im Schneidersitz auf seinem Arbeitstisch sitzend, hielt sie sich die Seiten vor Lachen, wenn er ihr die Ticks der vornehmen Damen schilderte, ihr geziertes Gehabe, wenn sie sich vor dem Spiegel spreizten, und ihre körperlichen Mängel, die sonst sorgfältig vor allen Augen verborgen blieben.
Einmal hatte sie sich ein Schlafzimmer beschreiben lassen, seine Lage im Haus, die Anzahl der Fenster und gefragt, ob die Dame durch Wachen vor ihrer Tür geehrt wurde. Sie tat das beiläufig und harmlos und Kaye hatte bereitwillig geantwortet. Kurz darauf hatte er den Haushalt bei seinem Besuch in heller Aufregung gefunden. Allerlei kleine Kostbarkeiten waren spurlos verschwunden, die vertraute Kammerfrau hatte ob der erregten Vorwürfe ihrer Herrin schluchzend ihr Bündel gepackt und die edle Dame selbst war einem Zusammenbruch nahe gewesen.
Er hatte Ninian bei ihrem nächsten Treffen davon erzählt und mit einem Seitenblick hinzugefügt:
»Ich hoffe, das passiert nicht häufiger. Es würde ein schlechtes Licht auf mich werfen, wenn jedes Mal etwas verschwindet, nachdem ich dort war!«
Sie hatte den Anstand gehabt, verlegen zu sein, und ihn nicht mehr um Beschreibungen gebeten. Manchmal betonte er, dass ihm das Wohlergehen bestimmter Familien am Herzen lag, dann lächelte sie nur, aber sie hatte ihm die Weißnäherin vermittelt, die nun für Ralf de Berengar arbeitete. Ninian hatte gefragt, ob Kaye sie beschäftigen wolle, doch für ihn nähten genug Mädchen. Als Sabeena jedoch erwähnte, dass die Wirtschafterin von Berengar Unterstützung brauchte, hatte Kaye an die junge Frau gedacht und sie empfohlen, ihre Arbeitsproben hatten ihm gefallen. Es freute ihn, dass der Kämmerer zufrieden war, vielleicht gewann er ihn sogar als Kunden - Ralf de Berengar könnte dringend einen Ratgeber in Kleiderfragen gebrauchen.
Und schließlich hatte er durch Ninian eine Sache in die Finger bekommen, einen Leckerbissen, bei dem ihm das Wasser im Munde zusammengelaufen war.
Schwungvoll lenkte er den Wagen in den Hof und das Gesinde, das den flotten Fahrstil seines Herrn kannte, rannte nach allen Seiten auseinander. Biberot, sein neuer Haushofmeister und persönlicher Leibwächter, griff nach den Zügeln und Kaye sprang eilig vom Kutschbock, obwohl er sich sonst gerne helfen ließ. Aber der Gedanke an den Auftrag, der ihm winkte, hatte Mondenschleier, ehrwürdige alte Männer und missgelaunte Damen aus seinem Kopf vertrieben. Er brannte darauf, seine Entwürfe so bald wie möglich vorlegen und - er rieb sich in freudiger Erwartung die Hände - am lebenden Modell drapieren zu können.
23. Tag des Hitzemondes 1465 p.DC., nachts
Der Patriarch schreckte aus dem unruhigen Schlummer hoch, in den er gegen Morgen endlich gefallen war. Der Alpdruck lastete auf seiner Brust und nach Atem ringend tastete er nach der Klingelschnur, die ihm Malateste jeden Abend vorsorglich an seinem Schlafgewand feststeckte. Dann löste sich der Schrecken, und gierig sog der alte Mann die abgestandene Luft in die weit geöffneten Nüstern.
Er zog an der Schnur und sogleich knarrte die Tür zu seinem Ankleidezimmer, die Bettvorhänge raschelten und Malatestes vertrockneter Vogelkopf mit der Nachtmütze auf dem kahlen Schädel schaute herein.
»Cosmo? Schon wieder wach?«
»Äh ...«, der Patriarch hustete und spuckte in den Napf, den der Kammerherr ihm hinhielt, »bei solchen Träumen ist es besser, nicht zu schlafen. Zieh die Vorhänge auf, ich werde kein Auge mehr zutun. Und du? Ich dachte,
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