AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Frauenzimmer?«
Ninian musste es widerwillig zugeben. Es geziemte sich nicht für die Tochter des Fürsten von Tillholde, in den Töpfen zu rühren, aber feine Näharbeiten hatten durchaus zu ihrer Erziehung gehört. Die Fürstin hatte dafür gesorgt, dass Ninian eine gewisse Fertigkeit darin erlangt hatte. Von derben Arbeitskitteln, durchlöcherten Strümpfen, Männerhemden und Bruchbändern war allerdings nicht die Rede gewesen. Mit ihrem Flickzeug suchte sie jetzt ein angenehmes Plätzchen, ein Vormittag in Kayes Gesellschaft reichte ihr.
Der Rastplatz war von lichtem Wald umgeben, Findlinge lagen zwischen den schlanken Stämmen verstreut und wenn sie zum Nähen keine Lust mehr hatte, konnte sie ein wenig klettern. Der Wald lichtete sich und sie hörte Stimmen.
Ein paar Knechte hatten sich auf einer Lichtung versammelt. Sie hielten Langbogen und Pfeile in den Händen und ein Mann, der den Arm in einer Schlinge trug, brüllte ihnen Anweisungen zu. Kaye hatte Ninian von Tynes unseligem Unfall erzählt, aber wie es schien, hatte der Feldscher gute Arbeit geleistet – die Lautstärke ließ keine Zweifel an seiner Genesung.
»Bis an die Nase, hab ich doch gesagt, Dumpfbacke. Is doch groß genug, der Zinken, sooo und zielen ... und jetzt los! Oh, ihr Götter, warum straft Ihr mich? Hau ab und wehe, du findest den Pfeil nicht wieder.«
Den anderen Knechten erging es nicht besser, Tyne geriet immer mehr in Rage, schließlich wandte er sich ab, als ertrüge er das Trauerspiel vor seinen Augen nicht länger und sah Ninian. Ungeduldig winkte er sie zu sich.
»Oi, Kleine, komm her. Ich wette, du machst es besser als diese Vogelscheuchen. Na, komm schon, keine Angst, ich beiß nicht.«
Ninian folgte der Aufforderung zögernd. Es war schon eine Weile her, dass sie einen Bogen in der Hand gehalten hatte, aber besser als Nähen war Bogenschießen allemal. Das Flickzeug konnte warten.
Die Knechte sahen ihr halb verlegen, halb finster entgegen.
»Die kann des Ding doch nich mal spanne«, rief einer von ihnen. Tyne schnaubte verächtlich.
»Du hältst mich wohl für 'nen Trottel, was? Natürlich kann sie das nicht, Schafskopf. Aber wie ist es damit?«
Aus dem Kasten, der neben ihm auf dem Boden lag, holte er eine kleine Armbrust hervor, ein zierliches, aber tödliches Spielzeug. Er spannte es und hielt es Ninian grinsend hin.
»Willste es versuchen, Kleine?«
Ninian sah von ihm zu den Fuhrknechten, die gespannt näher rückten.
Sie ließ den Nähbeutel von der Schulter gleiten, nahm die Armbrust und wog sie langsam in der Hand. Eine schöne, reich verzierte Arbeit, so leicht, dass ein kräftiger Mann sie mit einer Hand halten konnte. Für sie war es eine beidhändige Waffe.
Sie nahm die vorgeschriebene Stellung ein, zielte sorgfältig und löste ohne Hast die Feder. Der kurze Bolzen fuhr zischend von der Sehne, durchschlug die Strohscheibe und verschwand im Dickicht. Als sie nachsahen, fanden sie, dass er nicht genau die Mitte getroffen hatte. Dennoch murmelten die Knechte beeindruckt. Ninian war zufrieden und reichte Tyne die Waffe zurück.
Der Wachmann musterte sie aufmerksam.
»Und wo hast du das gelernt, mein Täubchen?«
Ninian antwortete ohne nachzudenken.
»Beim Bogenmeister meines ...«, sie verschluckte sich gerade noch rechtzeitig, »... des Fürsten von Tillholde.«
»Der Fürst lässt Mädchen im Bogenschießen unterrichten? Sehr vorrausschauend, wenn ich mir diese Tölpel ansehe«, spottete Tyne.
»Der Bogenmeister hat die Jungen im Kinderhaus ausgebildet und ich hab mich dazwischen geschmuggelt, er hat gar nicht gemerkt, dass ich ein Mädchen bin«, erklärte Ninian hastig.
»Jedenfalls hat er gute Arbeit geleistet, du solltest auch zu mir kommen. Wir brauchen mehr Bogenschützen, jetzt wo ich und Artes ausfallen. Wir haben noch raues Gelände vor uns und die Wachmannschaft ist zu klein. Ich will sehen, ob ich noch einen leichteren Bogen habe, denn für dieses Schätzchen habe ich nur wenige Pfeile. Ist eigentlich ein Spielzeug für edle Herrn.«
Mit seiner gesunden Hand griff er prüfend an ihren Arm. »Fehlt halt noch 'n bisschen Schmalz.«
Ninian riss sich los. »Meine Arme sind kräftig genug«, sagte sie ärgerlich, »bring erst mal deinen leichten Bogen. Vielleicht komme ich ja zu deiner nächsten Übungsstunde.«
Sie nahm ihren Nähbeutel auf.
»Die Knechte können nichts dafür, dass du deine Hand verloren hast«, warf sie im Gehen über die Schulter, »ein Bogenmeister braucht
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