AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
vorgestellt.
Die Vertrautheit, nach der sie sich gesehnt hatte, wollte sich nicht einstellen. Vor ihr stand ein Fremder – die seltsamen roten Haarstacheln und der dünne Zopf, der auf seine Brust herabbaumelte, die schwarze Junkerstracht, prahlerisch, aber abgetragen – und er schaute finster drein wie zu seinen schlimmsten Zeiten im Haus der Weisen.
»Du hast dich geirrt, du Närrin«, dachte sie entsetzt, »du bist ihm nachgelaufen und er will dich nicht!« Ihr war elend zu Mute, aber sie riss sich zusammen. Um nichts in der Welt sollte er ihre Enttäuschung bemerken.
»Hat Donovan dich hergebracht? Als seine Braut?«
Seine Lippen verzerrten sich zu dem bekannten, höhnischen Lächeln, aber sie hörte nur die Eifersucht in seiner Stimme. Vor Zorn und Erleichterung verlor sie die Fassung.
»Schweig doch von Donovan! Ich hab dir gesagt, dass ich niemals heiraten werde. Warum ich hier bin? Wegen dir! Du hast gesagt, wir gehörten zusammen und könnten ohne einander nicht auskommen. Ich konnte es nicht, obwohl ich es wahrhaftig versucht habe. Aber ich muss dich falsch verstanden haben, du freust dich ganz offensichtlich nicht, mich zu sehen.« Ihre Augen flammten wie vorher in der Schankstube, sie schulterte den Beutel und marschierte wütend zum Ausgang der Gasse.
Jermyn erwachte aus seiner Erstarrung und rannte ihr nach.
»Warte, Ninian, warte doch!«
Sie drehte sich um und sah ihm abweisend entgegen. Er lachte unsicher, der verkniffene Ausdruck war aus seinem Gesicht verschwunden.
»Du hast mich nicht falsch verstanden. Ich habe alles genauso gemeint, wie ich es gesagt habe, und glaub mir, ich ... ich habe dich schrecklich vermisst. Aber ich hatte die Hoffnung beinahe aufgegeben, so viele Gerüchte über Donovan und eine Fürstentochter aus den Bergen schwirrten herum, dass ich dachte ... und jetzt bist du auf einmal hier ... du musst mir etwas Zeit lassen, ich kann es einfach nicht glauben.«
Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wich zurück.
»Rühr mich nicht an!«
Verletzt runzelte er die Brauen. »Warum nicht? Wenn ich dich anfasse, glaub' ich vielleicht, dass du da bist.«
»Deswegen.« Sie schnippte und ein bläulicher Funke sprang zwischen ihren Fingerkuppen hervor. »Ich habe mich aufgeladen und wenn ich nicht mit der Berührung rechne, kann ich es nicht zurückhalten. Es ist so, als träfe dich der Blitz. Das muss ja nicht sein, oder? Auch wenn du eben nicht besonders freundlich warst.«
»Ah, so hast du dir den Kerl im Schwarzen Hahn vom Leibe gehalten«, Jermyn war beeindruckt. »Ich wusste nicht, dass du es speichern kannst, das kalte Feuer ...«
»Irgendwie musste ich mir ja die Zeit vertreiben, nachdem ihr alle verschwunden seid. Ich hab viel gelernt in den paar Monaten, bis ich es nicht mehr ausgehalten habe und nach Tillholde gegangen bin, aber da war es nicht besser und jetzt bin ich hier.«
»Das bist du«, er grinste plötzlich, »aber berühren kann man dich nicht.«
»Nur wenn ich es will«, erwiderte sie selbstgefällig, »in deiner prächtigen Stadt ist es nämlich ganz schön gefährlich. Niemand scheint Achtung vor Frauen zu haben. Was glaubst du, was ich schon für Angebote bekommen habe, seit ich in dieser Gegend auf der Suche nach dir bin.«
»Du darfst dich nicht wundern, so wie du herumläufst. Das wird als Aufforderung betrachtet, nicht nur in den dunklen Vierteln. Jeder feine Pinkel würde sich angesprochen fühlen.«
Er musterte sie ungeniert. Sie errötete und hob streitlustig das Kinn.
»Ich weiß, ich hab schon einige von ihnen kennengelernt.«
Seine Miene verfinsterte sich und sie lächelte schadenfroh.
Jermyn betrachtete sie schweigend. Trotz ihrer Warnung widerstand er nur mit Mühe dem Verlangen, sie an sich zu reißen. Aber er suchte auch in der aufreizenden jungen Frau vor ihm das gleichmütige, unbefangene Mädchen der nächtlichen Treffen am alten Turm. Die Gefährtin, mit der er die Freude am Klettern geteilt hatte, die so gut kletterte wie er ...
»Jermyn, pass auf!« Ninian schrie auf und stieß ihn von sich.
Aber es war zu spät. Ein heftiger Schlag fuhr durch seinen Leib und schleuderte ihn zu Boden. Benommen blieb er liegen, während sie sich abwandte und ungestüm die Hände von sich streckte. Blauweißes Feuer schoss aus ihren gespreizten Fingerspitzen und zersprang funkensprühend auf dem holprigen Pflaster.
»Ich habe dich gewarnt«, fuhr sie ihn an, aber er lachte keuchend.
»Nicht schlecht«, mühsam kam er wieder auf die
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