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AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)

AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)

Titel: AvaNinian – Erstes Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Norman
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Jermyn lehnte die Tür an und schob einen schweren Stuhl davor, damit kein verräterisches Licht durch einen Spalt nach draußen fiel. Dann drehte er sich um. Neben sich hörte er Ninian schneller atmen.
    Es war nicht völlig dunkel. Ein rötlicher Schimmer kam vom Kamin und zu beiden Seiten der Tür brannte eine Öllampe. Ihr Schein reichte nicht weit.
    »Gib mir die Lampe.«
    Er entfernte die Abdeckungen und hob sie hoch.
    Der Lichtschein glitt über schimmernden Stoff, spiegelte sich in blank poliertem Holz. Vergoldeter Zierrat blitzte, Statuen auf zierlichen Marmorsockeln tauchten aus dem Dunkel und versanken wieder. Vor lanzenförmigen, bleigefassten Fenstern stand ein Schreibtisch von gewaltigen Ausmaßen, bedeckt mit Schriftstücken, der hochlehnige Stuhl war weit zurück geschoben, als sei der Bewohner des Gemachs in Eile aufgestanden und fortgegangen.
    Jermyn interessierte nur das Schnitzwerk zu beiden Seiten des Bettes. Zielstrebig durchquerte er den Raum und begann im Schein der Laterne die Ranken nach dem Untier abzusuchen, das die geheime Tür öffnete.
    Ninian dagegen war wie gefangen von dem prachtvollen Raum. Wie im Ruinenpalast beherrschte ihn die Empore mit der fürstlichen Bettstatt. Den größten Teil ihres Lebens hatte sie in einem solchen Bett geschlafen. Es war der Mittelpunkt des Hauses, das Herz der alten Adelsfamilien, wo ihr Leben begann und oft auch endete. Sie nahm die Öllampe von ihrem Podest, stieg die zwei Stufen der Empore hinauf und schob die Vorhänge beiseite.
    Ein schwerer Duft stieg aus den Falten und legte sich betäubend auf ihre Brust. Das Bett war mit Kissen und Polstern üppig gedeckt, die Überdecke golddurchwirkt. Vier Schläfer würden mühelos darin Platz finden, aber Jermyn hatte erzählt, dass Fortunagra unvermählt war.
    Zu beiden Seiten des Kopfpolsters waren hohe, schmale Kästen angebracht, in denen Bücher und Mappen lagen. Sie stellte die Lampe ab und holte ein Buch heraus. Fremdartige, krause Zeichen bedeckten die Seiten. Ein zweites war mit Zeichnungen und Beschreibungen von edlen Waffen gefüllt. Sie fand Abbildungen von Resten stolzer Gebäude, ähnlich jenen auf dem Ruinenfeld, und daneben Darstellungen der gleichen Bauwerke in ihrer ganzen, unzerstörten Pracht. In einer Mappe lag ein Stoß loser Blätter – Zeichnungen erlesener Schmuckstücke, versehen mit genauen Beschreibungen, was an edlen Metallen, kostbaren Steinen, Perlen und anderem Zierrat für ihre Herstellung verwandt werden sollte.
    Der Bewohner des Gemachs schien ein Mann von Geschmack zu sein und doch hatte Jermyn ihn grausamer Verbrechen bezichtigt. Wie konnte jemand schlecht sein, der die Schönheit liebte?
    Sie bemerkte eine Mappe, halb verborgen hinter den Kissen und zog sie hervor. Auch dies waren lose Blätter mit Zeichnungen, kunstfertig in allen Einzelheiten ausgeführt. Jedes Glied, jedes Haar, jede Hautfalte ...
    Hastig schlug sie die Mappe zu und schob sie unter die Polster zurück. Als sie die Lampe aufnahm, flackerte das Licht über die Innenseite der Vorhänge. Sie waren meisterlich gewebt, die Farben gut getroffen, besonders der rosige Ton nackten Fleisches. Männer, Knaben und Tiere, keine Frauen.
    »Ninian? Was treibst du? Komm her!«
    Sie fuhr zusammen und schloss rasch die Vorhänge. Ihre Wangen brannten. Zum Glück bemerkte er ihre Verlegenheit nicht.
    Erbittert betrachtete er das verschlungene Rankenwerk. »Seeungeheuer«, knurrte er, »woher soll ich wissen, wie so ein verdammtes Vieh aussieht? Träum nicht schon wieder, hilf mir lieber.«
    »Ich komme aus den Bergen, da gibt's keine Seeungeheuer«, erwiderte sie schnippisch, vertiefte sich aber in das verwirrende Durcheinander von Schlingpflanzen, Leibern und Verzierungen. Es dauerte eine Weile, bevor sie einzelne Tiere ausmachen konnte. Fabelwesen waren es, unheimlich und grotesk, mit mehreren Köpfe und Flügelpaaren, hundert Beinen oder fußlos wie Schlangen, halb Tier halb Pflanze, so in einander verschlungen, dass man kaum unterscheiden konnte, wo das eine anfing und das andere endete. Sie griff nach einem zweiköpfigen, geflügelten Wesen.
    »Versuchen wir es einfach.«
    »Nicht!«, Jermyn riss ihre Hand herunter. »Womöglich enden wir mit einem Bolzen im Auge oder einem Messer im Bauch. Die Leute, die sich diese Anlage ausgedacht haben, hatten hässliche Einfälle. Es muss das richtige Ungeheuer sein. Wir brauchen mehr Licht. Durch die Fensterläden dringt nichts durch und vor die Tür schieben wir den

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