AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
umgedreht.
»Wisst Ihr, wo ich die Schenke zum Schwarzen Hahn finde, Ely?«
Das hatte sein Misstrauen geweckt.
»Was wollt Ihr dort? Sie liegt im Fremdenviertel, die meisten Leute dort sind ehrbar genug, aber der Hafen ist nicht weit. Nach Einbruch der Dunkelheit darf sich ein ehrbarer Mensch nicht dorthin wagen und gar eine junge Frau, allein ...«
Sie hatte nur süß gelächelt. Seufzend hatte er ihr den Weg beschrieben und sie mit vielen guten Ratschlägen hinausgeleitet. Die Ratschläge hatte sie sofort vergessen, der schlechte Ruf der Schenke hatte ihr Herz mit Hoffnung erfüllt.
Nachdem sie ihr Bündel aus Lunas Box geholt hatte, war sie zum Wallgraben gelaufen, einem breiten Baumgürtel unterhalb der alten Stadtmauer im Nordosten Deas, in dem sich das vornehme Volk zu Pferd und im Wagen tummelte. Mit wechselnder Begleitung war sie dort geritten, aber es gab noch eine andere, heimlichere Verrichtung, für die sie den Graben nutzte.
An seinem westlichen Ende traten Kloakenrohre aus dem Hang, die Abwässer der nördlichen Stadtteile ergossen sich hier in den Fluss und verbreiteten einen widerlichen Gestank. Dort wurden die Wege nicht frei gehalten, das Unterholz war dicht verwachsen und nur selten verirrte sich ein abenteuerlustiger Reiter in diese Ecke.
Es war der denkbar beste Ort, um sich aufzuladen. Die schnell aufziehenden Wolken trieben die meisten Müßiggänger in den Schutz der Torbögen. Bevor sie sich über das unzeitige Gewitter verwundern konnten, hatte Ninian das kalte Feuer in sich aufgenommen und die Wolken fortgeschickt.
Wie sie zu Jermyn gesagt hatte, war es nötig gewesen. Als es in den Gassen dunkel wurde, hatten geldgierige oder lüsterne Lumpen sich wie üblich von ihrer vermeintlichen Schutzlosigkeit täuschen lassen und ihren Irrtum schmerzhaft einsehen müssen. Im Fremdenviertel waren ihr die Blicke gefolgt, aber niemand hatte sie angesprochen und schließlich hatte sie unter einem pechschwarzen Hahn mit dämonischen, glutroten Augen gestanden.
Abwesend nahm Ninian ein Petschaft aus grünem Stein vom Schreibtisch und drehte es in den Händen.
Es hatte eine Weile gedauert, bis sie den Mut aufgebracht hatte, die Schenke zu betreten. Der Lärm, die verräucherte Luft, hatten ihre Sinne betäubt und die Vorstellung, in diesem Gedränge von Tisch zu Tisch zu laufen, war ihr zuwider gewesen.
Ratlos hatte sie dagestanden, mitten im Weg und die seltsam gekleidete Schankdirne hatte sich mit schiefem Blick an ihr vorbeigedrängt. Das Tablett war für einen Tisch bestimmt, an dem eine Gruppe Männer in mürrischem Schweigen saß. Sie hatte einen Becher vor einen dunkelhäutigen Burschen gestellt, von dessen Gegenüber Ninian nur den mit Stacheln bedeckten Hinterkopf gesehen hatte. Sie hatte sich über die merkwürdigen Moden in Dea gewundert, als der Mann eine Bewegung gemacht hatte und ihr das Herz in den Mund gesprungen war.
Das grüne Glas der Lampe hatte die Haarfarbe verfälscht, die Stacheln waren nicht braun, sondern rot.
Unfähig sich zu rühren, hatte sie auf seinen Rücken gestarrt. Ein wenig übel war ihr geworden. So viele Zuschauer ... und eine fröhliche Runde schien es nicht zu sein. Als er den Kopf zu Seite gewandt hatte, war ihr sofort klar gewesen, dass er zornig war. Entmutigt hatte sie beschlossen, vor der Schenke auf ihn zu warten, als er sich umgedreht und ihr gerade in die Augen gesehen hatte. Noch jetzt schauderte sie, wenn sie daran dachte.
»Er weiß nicht, wer du bist«, war es ihr durch den Kopf geschossen, »er hat dich schon vergessen!«
Der Boden hatte unter ihren Füßen gewankt, dann hatte er sie erkannt.
Ninian lächelte versonnen.
Töricht hatte er ausgesehen, mit seiner entgeisterten Miene ... wie ein Schlafwandler war er auf sie zugekommen und sie hätte lachen mögen, wäre sie nicht selbst einer Ohnmacht nahe gewesen.
Das Siegel entglitt ihren Fingern und polterte zu Boden. Sie fuhr zusammen, hob es hastig auf und legte es zurück. Hätte sie in der Schenke geahnt, dass sie wenige Stunden später in fremde Schlafkammern einbrechen würde, wäre sie wahrhaftig in Ohnmacht gefallen.
Mit einem Mal fiel ihr auf, dass Jermyn schon reichlich lange in dem geheimen Raum weilte. Hatte sie über ihren Gedanken sein Klopfen nicht gehört? Sie trat zu der geschnitzten Wand und horchte, aber kein Laut drang hervor. Sollte sie die Tür öffnen, um nach ihm zu sehen? Aber er hatte betont, welches Feingefühl die Arbeit da drinnen erforderte. Wenn sie ihn im
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