AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
ihm nach und er rutschte an der Wand hinunter. Am Boden war die Luft besser, er konnte ein paar tiefe Atemzüge tun. Den kostbaren Beutel hinter sich her schleifend kroch er zur Tür und presste den Mund an die kaum wahrnehmbare Ritze.
» Reiß dich zusammen«, dachte er, »sie wird bald merken, dass etwas nicht stimmt.«
Er lag so, bis die Kerze in der Laterne beinahe heruntergebrannt war und die Dunkelheit sich bis auf einen winzigen Kreis um ihn geschlossen hatte. Er würde sterben, wenn das Licht erlosch. Es machte nichts, die Verzweiflung hatte er schon hinter sich gelassen, nur schade war es, schade. Er versank in grauem Nebel, tiefer und tiefer ...
Mit einem Ruck gab die Wand nach und unsanft landete er auf dem Gesicht. Der Schmerz brachte ihn zu sich, kühle Luft, Geräusche strömten herein und mit ihnen ein Schwall angstvoller Liebe, der ihn aufrüttelte. Hände zerrten an seinen Kleidern, gierig rang er nach Atem.
»Der Sack ... zuerst der Sack«, krächzte er mühsam.
Ninian griff danach und hätte ihn beinahe auf den hilflosen Jermyn fallen lassen. Sie schleuderte den Beutel hinter sich, packte den schlaffen Körper mit beiden Händen und zog ihn heraus. Jermyn hatte noch die Geistesgegenwart, seine Beine anzuziehen, bevor die lautlos zufallende Tür seine Füße zerquetschte. Erschöpft blieb er liegen.
»Luft ... brauche Luft!« Ninian rannte zu den Fenstern. Die Riegel waren gerade außerhalb ihrer Reichweite und wütend zerrte sie den schweren Stuhl heran. Mit vor Hast ungeschickten Fingern öffnete sie einen Fensterflügel und stieß den Laden so weit auf, wie sie es wagte.
Sie schleppte Jermyn unter das Fenster, wo er in tiefen Zügen die rauchige Nachtluft einsog. Sein Atem beruhigte sich, er lehnte an der Wand, den Kopf auf den Knien. Ninian hielt ihm einen Becher an die Lippen, den sie aus einer Karaffe neben dem Bett gefüllt hatte.
Er nahm einen gierigen Schluck und schob ihre Hand weg. »Keinen Wein, mir brummt der Schädel auch so. Du hast ganz schön auf dich warten lassen.«
»Warum hast du nicht geklopft? Du sagtest, du würdest klopfen.«
Sie machte sich schon bittere Vorwürfe, er musste nicht in die gleiche Kerbe schlagen.
»Woher sollte ich wissen, ob du nicht mit irgendwelchen schwierigen und langwierigen Vorgängen beschäftigt warst, bei denen ich dich gestört hätte?«, verteidigte sie sich.
»Ich habe mir die Hände wund geklopft, ich habe gebrüllt, aber die Kammer ist so abgeschirmt, dass kein Laut hervordringt. Du hättest dir denken können, dass etwas nicht stimmt, als ich so lange nichts von mir hören ließ!«
Ein wenig musste er sie für die ausgestandene Angst büßen lassen, die letzten Augenblicke in der Kammer waren nicht schön gewesen.
Ninian hatte die Augen gesenkt und presste die Lippen zusammen, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie war es nicht gewohnt, dass man so mit ihr redete.
Mit veränderter Stimme fragte er: »Warum hast du die Tür doch aufgemacht?«
»Ich bekam Angst«, flüsterte sie, »mir war gleich, ob ich dich störe. Ich konnte nicht anders ...«
Jermyn nickte. »Ich hatte auch Schiss da drin, ich dachte, ich müsste sterben. Du hast es gemerkt, nicht wahr?«
Sie sah auf und jetzt liefen die Tränen. »Ja, ja. Hast du ... hast du mich gerufen ?«
»Nein, aber du hast gewusst, das ich dich brauche.«
Groß und dunkel standen seine Augen in dem bleichen Gesicht. Er zog sie zu sich heran und sie spürte seine Wange kühl an der ihren.
»Ninian.«
Es war nur ein Hauch, aber er nahm ihr alle Kraft. Sie wehrte sich nicht gegen seinen Mund, wandte den Kopf ein wenig ...
Kurze, helle Glockenschläge rissen sie auseinander, in der Stille laut wie Fanfarenstöße.
»Der Alarm!«
Gehetzt sah Jermyn sich um, aber die Schläge endeten so überraschend wie sie begonnen hatten.
»Was war das?« Ninian sprang auf und stürzte zum Schreibtisch, wo sie zwischen den Papieren wühlte und schließlich eine flache, silberne Dose hervorzog, so groß wie ihr Handteller.
»Das hier, schau.«
Jermyn musterte das Ding misstrauisch. »Zu was soll das gut sein?«
Ninian fingerte am Rand der Dose und der Deckel sprang auf. Sie wies auf die Scheibe, die in zwölf dreieckige Felder eingeteilt war, abwechselnd schwarz und weiß. Ein silbernes Rädchen mit einem winzigen funkelnden Stein darauf war in der Mitte angebracht. Es zitterte ein wenig und ein leises, regelmäßiges Ticken war zu hören.
»Du kannst die Zeit daran ablesen. Der
Weitere Kostenlose Bücher