AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
lauschte.
Jermyn bückte sich, zog einen Dolch aus der Lederscheide, die er um die Wade geschnallt hatte und heftete seine Nachricht damit auf die Tischplatte. Juwelen blitzten an dem zierlichen Griff, als das tödliche Ding zitternd stecken blieb.
»Das ist seiner«, erklärte Jermyn, »wenn er den sieht, weiß er, wem er seine Niederlage zu verdanken hat.« Er grinste. »Schade, ich wünschte, ich könnte sein Gesicht sehen.«
»Warum hast du nicht einfach deinen Namen unter die Nachricht gesetzt?«, fragte sie und erntete einen überlegenen Blick.
»Na, weißt du, ich werde doch nichts mit meinem Namen hier lassen. Ich bin doch nicht lebensmüde.«
»Warum soll er überhaupt erfahren, wer ihm den Schatz weggenommen hat?« In ihrem Kopf schwirrte es von Ränken und heimlichen Nachrichten, sie konnte sich nicht vorstellen, was Jermyn im Schilde führte.
Er hatte sich den Beutel mit dem Schatz um die Schulter geschlungen und hielt ihr den anderen hin, der das Einbruchswerkzeug, die Laterne, das Seil und ihre Schuhe enthielt.
»Hier, es ist besser, wenn du das trägst, mit beiden bin ich zu unbeweglich. Warum er wissen soll, dass ich ihn bestohlen habe?« Seine Augen glitzerten. »Heute ist mein Tag, Ninian. Wenn es so läuft, wie ich es mir vorstelle, kriechen sie heute alle vor mir auf dem Bauch, die hohen Herren und ich bekomme alles, was ich mir wünsche, alles! Du wirst schon sehen. Verschwinden wir jetzt, die Zeit wird knapp.«
Er hatte kaum ausgeredet, als unten im Hof eisenbeschlagene Räder über das Pflaster rasselten. Stimmen wurden laut, ein Wagenschlag klappte und fiel ins Schloss. Hufschläge entfernten sich zu den Stallungen. Der Herr des Hauses war zurückgekehrt. Jermyn löschte die Kerzen und stieß den Teppich von der Tür weg. »Wir haben zu lange getrödelt.« Er vergewisserte sich, dass der Gang leer war und sie schlüpften hinaus.
»Scheiße, dass das Schloss hin ist, sonst würde es vielleicht 'ne Weile dauern, bis er merkt, dass was nicht stimmt. Jetzt wird er den Braten gleich riechen«, knurrte er, als sie über den Korridor liefen. Hier und da knarrte eine Bohle unter ihren Sohlen, aber sie achteten nicht darauf.
Unbemerkt erreichten sie die bemalte Tür im oberen Gang. Der Vorrat an Kerzen war aufgebraucht und sie vergeudeten kostbare Zeit damit, die Maske zu suchen, hinter der sich das Schlüsselloch verbarg. Jermyn kramte seine Haken hervor und hockte sich auf den Boden.
Eine ganze Weile kratzte er an der Wand, bis er plötzlich kräftig dagegen schlug.
Ninian fuhr zusammen und sah erschrocken den Gang hinunter.
»Was treibst du denn?«, flüsterte sie. »Schaffst du es nicht? Von der anderen Seite ging es doch ganz schnell ...«
»Das beschissene Zeug ist so dick da drauf geschmiert«, stieß Jermyn zwischen den Zähnen hervor und führte einen zweiten Schlag gegen die Wand. In großen Stücken polterte der bemalte Mörtel auf den Boden, doch als das Schlüsselloch frei lag, zeigte es sich, dass der Putz auch in das Schloss geraten war.
Fluchend stocherte Jermyn darin herum, bis er die Geduld verlor und es mit Gewalt versuchte wie an der Tür zu Fortunagras Schlafgemach. Mit trockenem Knacken brach der Haken und blieb im Schloss stecken.
Jermyn zischte ein paar Worte, die Ninian die Röte in die Wangen trieben. »Es hat verdammt noch mal keinen Zweck, es mit dieser Scheißtür zu versuchen. Wir müssen durchs Haus. Wenn wir Glück haben, begegnen wir um diese Zeit noch keinem Zausel von der Dienerschaft, aber zieh dir trotzdem die Kapuze so tief wie möglich ins Gesicht. Und bete darum, dass er nicht sofort in sein Schlafzimmer geht, sonst ist hier gleich die Hölle los.«
Er beugte sich vor, um ihr ins Gesicht zu sehen. »Hast du Angst?«
»N...nein«, sie konnte das Zähneklappern nicht unterdrücken, »doch ... ist das nicht egal? Wir müssen schließlich hier raus. Aber ich wünschte, ich wäre es so gewohnt wie du, nachts durch fremde Häuser gejagt zu werden.« Er lachte und drückte aufmunternd ihre Hand.
Sie hasteten den Korridor entlang, vorbei an den gemalten Palästen und lieblichen Landschaften und dann die Treppe hinunter.
Sie dachten schon, sie kämen unbehelligt in die Halle, als sich von unten Schritte näherten. Ein gähnender Diener schlurfte mit einem Korb voller Kerzen und Kienspäne die Stufen herauf. Als er die beiden reglosen, grauen Gestalten sah, wandelte sich seine schläfrige Miene und er öffnete den Mund.
Jermyn hatte ihn am Brustlatz
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