AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
machte sie verlegen. Er ließ sie los.
»Willst du noch mehr hören oder hast du genug?«, fragte er schroff.
Ava kam sich töricht vor und sagte schnell:
»Nein, mach weiter, ich ... ich kann's schon aushalten.«
Er lachte leise und sie errötete.
»Soviel gibt's nicht mehr zu erzählen. Eines Tages verschwand Ganev plötzlich. Ich denke, der Patron, dem er tributpflichtig war, hatte gemerkt, dass er nicht alle Greifer angab, die für ihn liefen. Seykos hatte sich auf der Flucht nach einem missglückten Bruch den Hals gebrochen und ich war auf einmal frei, für mich selbst zu arbeiten. Nicht für lange, einer der Patrone bekam Wind von meinen, nun ja, besonderen Fähigkeiten. Ich hatte vorsichtig daran gearbeitet, wie ich es eben ertragen konnte, aber ich Depp erprobte meine Künste an dem Falschen. Er konnte sich gut verschließen und war zu meinem Pech Gefolgsmann eines der mächtigsten Patrone in Dea. Prompt verpfiff er mich und sein Herr bot mir an, mich schulen zu lassen und für ihn zu arbeiten. Er machte das sehr hübsch, es wirkte fast so, als ob ich die Wahl hätte. Wahrscheinlich hätte ich mich für ihn entschieden, aber da tauchte Vater Dermot in der Stadt auf und zwang mich mitzukommen.«
»Und bereust du es?«, fragte Ava schnell.
Jermyn antwortete nicht sofort. »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich, »ich habe 'ne Menge gelernt. Beim Lenken hab ich keine Kopfschmerzen mehr und ich kann gezielt Gedanken erkennen, aber wohl fühle ich mich nicht, das kannst du mir glauben, Ninian.«
Seine Worte versetzten ihr einen Stich, warum, hätte sie nicht sagen können. Sie stand auf und streckte sich, steif vom langen Sitzen. Im Osten färbte sich der Himmel grau. Jermyn streckte ihr die Hand entgegen.
»He, hilf mir hoch«, sagte er rau, »mir tut alles weh.«
Sie packte zu und zog kräftig, fluchend kam er auf die Beine. Er schwankte, die Flasche in seiner Hand war leer. Er ließ sie fallen und griff nach ihrem Arm. Sie hielt ihn fest und einen Moment lang standen sie dicht beieinander. Im blassen Morgenlicht sah Ava sein gesundes Auge mit einem Ausdruck auf sich gerichtet, vor dem sie erschrak. Rasch ließ sie seine Hand los und trat einen Schritt zurück. Er senkte den Blick und tastete nach seiner Unterlippe.
»Wieder aufgeplatzt«, murmelte er undeutlich, »hab zu viel geredet.« Es klang mürrisch, als sei es ihre Schuld. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und humpelte die Treppe hinunter. Auch Ava fühlte sich dem Abstieg über die Mauer nicht mehr gewachsen, sie folgte ihm verwirrt und unglücklich.
Danach trafen sie sich eine ganze Weile nicht und als sie wieder am Turm zusammenkamen, sprachen sie nicht mehr über Dea.
Hitzemond 1463 p. DC
Vater Dermot legte den Brief fort, den er gerade gelesen hatte, und rieb sich müde die Augen. Er stand auf und trat ans Fenster.
Die Abendsonne lag warm auf dem Garten und die große Zeder warf schon einen langen Schatten. Leise Lautenklänge drangen zu ihm hinauf und der Vater entspannte sich ein wenig.
Im Augenblick war die Stimmung recht gut unter seinen Schützlingen, Donovan spielte Laute und manchmal sangen sie sogar dazu. Es hatte lange gedauert, bevor er es gewagt hatte, sie hervorzuholen. Vater Dermot schüttelte den Kopf. Der gutherzige, aber tölpelhafte junge Edelmann hatte noch einen harten Weg vor sich, bevor er wirkliche Autorität besitzen würde. Doch war sein Aufenthalt hier nicht sinnlos, es gab da einen gesunden Kern, eine innere Stärke, die Vater Dermot Hoffnung machte. Das hatte er auch dem Patriarchen gesagt, der an seinem Erben fast verzweifelte. Und der alte Fürst hatte seinen Worten so vertraut, dass er als letzten Ausweg den geliebten Sohn von seiner Seite gelassen und ins Haus der Weisen geschickt hatte.
Den harten Weg hatte Donovan schon betreten, Jermyn hatte eine unüberwindliche Abneigung gegen ihn und bemühte sich nach Kräften, ihm das Leben schwer zu machen. Die Väter geboten ihm dabei selten Einhalt. Es war nötig, den verträumten Donovan aufzuwecken, daher ließen sie die jungen Männer so oft wie möglich zusammen üben, zu ihrem beiderseitigem Unbehagen.
Jermyn lag im Gras, wie immer etwas abseits von den anderen. Mit ihm war eine erstaunliche Änderung vorgegangen, zumindest in seinem Äußeren.
Der Vater lächelte ein wenig, als er an den klapperdürren, verwahrlosten Jungen dachte, den er vor mehr als zwei Jahren unter solchen Mühen hergebracht hatte. Mit Zähnen und Klauen hatte Jermyn
Weitere Kostenlose Bücher