AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
sich gewehrt, als sie ihm die Lumpen vom Leibe gezogen und ihn in den großen Badezuber gesteckt hatten, um ihn von Dreck und Ungeziefer zu befreien. Drei starke Helfer waren dazu nötig gewesen und zuletzt hatte er vor hilflosem Zorn geweint.
Aber er war nicht dumm. Bald hatte er die angenehmen Seiten seines neuen Lebens – regelmäßiges Essen und saubere Kleidung – schätzen gelernt. Lesen und Schreiben hatten die Väter ihm in wenigen Wochen beigebracht und von seinen Mitschülern hatte er sich vieles abgehört. Wenn er wollte, konnte er sich gut ausdrücken, aber häufig verfiel er in seine Gossensprache, um zu beleidigen oder zu schockieren.
Jetzt stand er auf und schlenderte zur Zeder hinüber. Mit einer eleganten Bewegung sprang er an den untersten Ast und zog sich hoch. Rasch kletterte er bis zur Mitte des großen Baumes, setzte sich in eine Astgabel und ließ ein Bein lässig herabhängen. Er war immer noch der kleinste und schmächtigste der jungen Männer, aber er war nicht mehr dürr und schien sogar gewachsen zu sein. Das Verschlagene, Geduckte war aus seiner Haltung verschwunden, dafür drückte sie jetzt Arroganz und Ablehnung aus. Nur ein einziges Mal hatte Vater Dermot erlebt, dass er ohne Hohn lächelte.
Es war geschehen, nachdem Ava sich zum ersten Mal von einem freundlichen Windwirbel auf das Dach des Sternenturms hatte tragen lassen.
Jermyn hatte ihr, wie die anderen, mit offenem Mund nachgesehen, und als er es merkte, die Lippen fest zusammengekniffen. Am Nachmittag desselben Tages war Vater Dermot an dem Turm vorbeigekommen und hatte den Jungen wie eine Fliege in der Mitte der Wand kleben sehen. Mit angehaltenem Atem hatte er beobachtet, wie Jermyn von Stein zu Stein hinaufkletterte. Oben angelangt hatte er sich nach einer kurzen Pause wieder an den Abstieg gemacht. Als er sicher auf festem Boden stand, war Vater Dermot aus dem Schatten herausgetreten.
»Respekt, mein Junge, eine großartige Leistung.«
Jermyn war herumgefahren, das übliche, finstere Misstrauen in den Zügen, aber als er keinen Tadel, sondern nur Vater Dermots Bewunderung fand, hatte er wie befreit gelächelt und das Lächeln hatte sein Gesicht völlig verwandelt.
Vater Dermot hatte diesen gelösten Ausdruck nie wieder gesehen, der Junge war zu verschlossen. Er wollte nichts preisgeben und versteckte sich hinter beißendem Spott oder überlegener Zurückhaltung. Bei den gemeinsamen Gedankenübungen aber merkte Vater Dermot, wie es unter der glatten Oberfläche brodelte. Da war eine schwarzrote Wolke der Wut, die nie verschwand. Oft hatten sich die Väter gefragt, ob es gut war, Jermyn gegen seinen Willen in der Schule der Weisen festzuhalten. Einige meinten, ohne Schulung und Kontrolle sei er eine Gefahr, doch Vater Dermot spürte eine schwache Möglichkeit zum Guten in ihm. Noch hatte sich Jermyns Lebensweg nicht entschieden. Als er Donovan einmal übel mitgespielt hatte und trotzig vor ihm stand, hatte Vater Dermot gefragt:
»Jermyn, wenn wir dich jetzt freiließen, würdest du gehen?«
Der Junge hatte schnell den Kopf gehoben. Er war blass geworden und für einen Moment hatte sein Gesicht widerstreitende Gefühle gezeigt, Erleichterung und Angst. Dann hatte er die Augen niedergeschlagen, den Kopf geschüttelt und war aus dem Zimmer geschlichen. Vater Dermot hatte ihn gehen lassen, aber immer wieder fragte er sich, was Jermyn quälte.
Vater Dermots Blick wanderte weiter und verweilte bei Quentin. Der Vater lächelte, dieser junge Mann machte ihnen keinen Kummer. Er würde ein guter Wetterweiser und Sternenkundiger für sein Dorf sein, nicht mehr und nicht weniger. Zu gutmütig, um andere mit seinem Wissen zu gängeln oder gar zu erpressen, zu klug, um sich von den Dorfmächtigen benutzen zu lassen. Vater Dermot schmunzelte, als er daran dachte, wie Quentin mit Jermyn fertig geworden war.
Und zuletzt – die kleine Lady Ava. Da saß sie auf ihrer Steinbank, die Beine hochgezogen und die Wange auf die Knie gelegt. In ihrem grauen Kittel und dem schlichten Zopf wirkte sie harmlos, ein hübsches, kleines Mädchen. Aber niemand wusste, welche Kraft wirklich in ihr steckte, vielleicht nicht einmal sie selber. Bisher hatte keiner der Väter herausbekommen, woher ihre Fähigkeiten kamen. Vater Troy glaubte, dass es eine mächtige Quelle sein müsse, denn sie übte sich nun daran, die Masse der Erde zu bewegen. Neulich hatte es einen Erdstoß gegeben, der einiges Erschrecken hervorgerufen hatte. Sie hatte sich auf den
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