AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
glänzen konnte. Der Boden war gescheuert und die Fliesen schimmerten in warmen tiefem Rot, alles Geschirr war in die Regale geräumt, das Holz ordentlich gestapelt und selbst dem russgeschwärzten Dreifuss im Kamin war Wag mit der Scheuerbürste zu Leibe gerückt. Er errötete verlegen.
»Geht nichts über Putzen, wenn man sich beruhigen muss«, er nahm den Kessel und betrachtete ihn traurig. »Schau, jetzt is 'ne Delle drin, weil du mich so erschreckt hast.«
Ninian lachte und deutete mit dem Kopf nach oben: »Was hat er gemacht?«
»Pah, dem haste 'ne schlaflose Nacht beschert, mir allerdings auch. Knarz, knarz, knarz ... die ganze Zeit is er da oben rumgeturnt, das kenn ich schon von früher. Kein Auge konnt ich zutun.«
»Geschieht ihm recht«, sagte Ninian schadenfroh, aber sie wandte sich zur Tür.
»Bis später, Wag«, rief sie und verschwand.
Wag sah ihr glücklich nach, warf seinen Putzlappen in die Ecke und rieb sich die Hände. Jetzt würde er sich erst einmal ein Schlückchen und etwas Ruhe gönnen ...
Jermyn hockte im Schatten des Turms auf einer umgestürzten Säule. Er hatte es sofort gespürt, als Ninian das Ruinenfeld betreten hatte. Da er sie nicht aushorchen wollte, zog er sich zurück, obwohl es ihm schwer fiel. Vielleicht kam sie nur, um endgültig Lebewohl zu sagen.
Ninian setzte sich neben ihn.
»Es ...«, seine Kehle war ausgedörrt und er räusperte sich. »Es tut mir leid. Ich gehör geprügelt, dass ich dich da oben zurückgelassen habe. Wäre das Wetter so wie heute gewesen ...«
Er sprach nicht weiter, sondern starrte hinauf zu der Mauerkrone, die im gleißenden Sonnenlicht lag und sie folgte seinem Blick. Der Sandstein leuchtete so grell, dass sie die Augen abwenden mussten.
»Wäre ich geröstet worden«, vollendete Ninian den Satz.
Gestern hatte eine Laune der Götter einen dichten Schleier um das tyrannische Gestirn gewoben, einen Dunst, der in der vollkommenen Windstille den ganzen Tag über nicht zerrissen war und sie vor der zerstörerischen Glut geschützt hatte. Im Morgengrauen war der Dunst als Tau zur Erde gefallen und der Himmel wölbte sich in gnadenloser Klarheit. Die Luft über Dea flimmerte vor Hitze.
Jermyn hatte auf der Schattenseite klettern müssen, in der Sonne konnte man die glutheißen Steine nicht berühren. Auf dem Turm war es nahezu unerträglich gewesen, aber er hatte von einem Tempelläuten zum nächsten gewartet, um sich zu strafen.
Nicht einen Gedanken hatte er an das Wetter verschwendet, heute hätte er sie ebenso zurückgelassen. Hätte sie stundenlang unter der sengenden Sonne ausharren müssen, ohne Schutz, ohne Wasser – ihr Leben wäre ernstlich in Gefahr geraten. Bei der Vorstellung drehte sich ihm der Magen um.
»Es war ein mieser Streich«, murmelte er, »ich kann verstehen, wenn du ... wenn du gehen willst.«
Die Stimme versagte ihm, jetzt, da er es ausgesprochen hatte und eine Weile saßen sie schweigend unter der Glocke aus Glut und Stille. Ninian musterte ihn verstohlen. Er saß vorgebeugt, die Arme auf die Knie gestützt. Die durchwachte Nacht und die anstrengende Kletterpartie hatten Spuren hinterlassen, sein Gesicht war fahl, die Augen rotgerändert. Unter den gesenkten Lidern glitt sein Blick zur Seite und begegnete dem ihren. Schnell wandte er sich ab, rote Flecken erschienen auf seinen Wangen und Ninian verstand. Sie hatte sich geirrt, eine Hand auf seiner Schulter, ein zärtliches Wort und sie würde sehen, dass er nicht anders für sie empfand als in jener Nacht. Die Luft zwischen ihnen knisterte, als hätte sie sich aufgeladen. Es lag bei ihr ...
Doch sie rührte sich nicht. Er hatte sie schwer gekränkt und sie hatte ihm noch nicht verziehen, aber das war es nicht allein. Oft genug war ihr Blut in den letzten Tagen in Aufruhr geraten, aber sie wollte den Draufgänger, der aller Welt ins Gesicht lachte. Dieser unterwürfige Jermyn, dessen Blick sie anbettelte wie der eines geprügelten Hundes, gefiel ihr nicht, er machte sie verlegen.
Sie rückte ein Stück beiseite.
»Es ist ja nichts geschehen«, sagte sie leichthin, »die Erdenmutter hat mich beschützt. Du konntest nicht wissen, dass gestern diese völlige Windstille herrschte. Sonst wäre ich allerdings schnell unten gewesen!«
»Das heißt, du verzeihst mir?«
Ninian unterdrückte ein Kichern, als sie die ungewohnten Worte aus seinem Mund hörte. Die hatte er gewiss nicht oft in seinem Leben gesagt. Sie ahnte, wie schwer sie ihm fielen und plötzlich
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