AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
im warmen Nachmittagslicht unter ihr lag.
Die tiefstehenden Strahlen brachten den gelben Sandstein des Turmes zum Leuchten; die Segler hatten ihre unermüdliche Jagd eingestellt und waren zu den Nestern heimgekehrt, die sich überall in den alten Mauern versteckten.
Blau und golden lag die Stille über den Ruinen und auch Ninian schloss wohlig die Augen. Hinter ihren Lidern verwandelten sich Gebäude und Straßenzüge in ein schwarzes Geflecht auf feurig leuchtendem Grund. Ein kühler Windhauch strich leise über ihre nackten Arme durch den dünnen, ärmellosen Kittel und ließ sie schaudern.
Eine Zeitlang saß sie so, bevor ihr auffiel, dass die Trommelschläge verstummt waren. Statt dessen drangen abgerissene Fanfarenstöße zu ihr herauf – der Hochzeitszug hatte sich in Bewegung gesetzt und trug das Brautpaar seinem letzten Ziel entgegen, dem Tempel der Liebesgöttin.
Ninian reckte sich und beschattete die Augen mit der Hand. Das Heiligtum lag östlich vom Tempel Aller Götter, es musste von ihrem hohen Sitz aus zu sehen sein, vielleicht sogar der langgestreckte, glänzende Zug, der sich durch die Straßen wand. Alle Schläfrigkeit war von ihr abgefallen und plötzlich merkte sie, dass sie Sabeena beneidete. Nicht um das prunkvolle Fest und gewiss nicht um den Bräutigam ...
Verstohlen sah sie zu Jermyn hinüber. Sie wagte niemals, ihn länger anzusehen, aber er schlief ja, er spürte es nicht.
Das kurze Haar glänzte wie Kupfer und ein hellerer, rotgoldener Schimmer lag auf den Wangenknochen – es war zwei Tage her, dass Cheroot ihn balbiert hatte. Die geraden, schwarzen Brauen stießen über der Nasenwurzel zusammen, die Nasenflügel waren hochmütig gebläht – selbst im Schlaf verachtete er die Welt. Nur in den Mundwinkeln hingen noch Spuren seines Gelächters. Winzige Schweißperlen glänzten über seiner Oberlippe, sie glaubte, den salzigen Geschmack zu spüren.
Ninian schluckte, ihr Mund war wie ausgedörrt, sie konnte die Augen nicht von ihm wenden. Ihr Blick streichelte seine Arme, die Kehle, an der eine Ader pochte, die kleinen Gruben über den Schlüsselbeinen, die glatte, haarlose Brust. Auf der goldenen Haut zeichneten sich überall hellere Stellen ab, Narben von Schlägen und Verletzungen, das einzige, wovon er als Kind im Überfluss gehabt hatte. Sie würde es gerne gutmachen, wollte ihn liebkosen, nicht nur dort, überall.
»Was für ein blöder Scherz«, dachte sie erbittert, »Sabeena muss heute Nacht das Brautlager mit ihrem ungeliebten Eheherrn teilen und ich ... ich liege allein und werde verrückt vor Sehnsucht. Warum hab ich ihn abgewiesen, damals, nach dem Einbruch?«
Im Schlaf war er tiefer gerutscht, ein schmaler, heller Streifen hob sich über dem Hüftknochen von der braunen Haut ab ...
»Du siehst mich an.« Seine Stimme klang rau und sie erschrak so heftig, dass es weh tat. Die Worte blieben ihr im Halse stecken.
»Wo ... woher weißt du das? Siehst du mich an?«, brachte sie endlich hervor.
Er lehnte immer noch mit geschlossenen Augen an der Mauer.
»Nein, das tue ich nicht. Aber ich spüre es.«
Das Blut brauste in ihren Ohren und nach einer kleinen Pause fügte er sanft hinzu: »Überall ... überall, wo du hinschaust.« Er drehte den Kopf. Seine Augen glänzten, er musste schon eine ganze Weile wach sein und Ninian stieg das Blut in einer heißen Welle in die Wangen.
Hätte er gelächelt, hätte sie glauben können, er mache sich lustig, so hätte sie sich in den Zorn flüchten können. Aber er lachte nicht und sie erkannte, dass ihm nichts ferner lag als Spott.
Ihr Herz hämmerte und wieder überfiel sie der Drang zu fliehen, doch viele Fuß hoch über dem Erdboden blieb ihr keine Wahl. Sie musste bleiben.
Jermyn sah die Angst in den hellen Augen. Ihr Gesicht glühte, es zuckte darin, als wolle sie weinen, aber sie wich seinem Blick nicht aus.
Er beugte sich vor und küsste sie.
Diesmal war der Geschmack seines Mundes nicht fremd, sondern süß und ersehnt. Ihr war, als berührten seine Lippen ihr Herz und es öffnete sich wie eine Blüte. Der steinerne Turm schwankte und haltsuchend streckte sie die Hände aus.
In den Webereien der Fürstin von Tillholde gab es herrliche Gewebe – schmelzenden Samt, kühles, glattes Leinen, das seidige Gespinst des Mondenschleiers, aber keines übertraf die sonnenwarme Haut unter ihren Fingern. So sehr hatte sie sich danach gesehnt, jetzt verlor sie fast die Besinnung vor Verlangen. Gierig griff sie zu und er zuckte
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