AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
sie getrocknete Kräuter aus den winzigen Messingtiegeln, die vor ihr aufgereiht standen und arbeitete sie unter die Mischung.
Sie hatte ihre eigenen Rezepturen für die farbigen Pasten, die sie in die blutigen Linien rieb, mit denen sie die Körper ihrer Kunden verzierte. Es gab keine Stelle, an der sie ihre Nadel nicht schon angesetzt hatte, aber niemals verwandelten sich die phantastischen Bilder und Muster in nässende Wunden. So zahlten alle klaglos mehr als bei jedem anderen Hautstecher in Dea.
Sie handhabte den kleinen Glasstößel mit liebevoller Sorgfalt und über der Arbeit, die Augenmaß und Erfahrung erforderte, glätteten sich die grimmigen Linien in ihrem Gesicht. Der Lärm des Badehauses drang nur leise zu ihr. Um diese Zeit hatte er abgenommen, obwohl heute Nacht mehr Betrieb gewesen war als sonst. Viele, die den ganzen Tag in der Sonne ausgeharrt hatten, waren gekommen, um sich Staub und Schweiß abzuwaschen. Sasskatchevan hatte den Badehausbesitzern eine großzügige Summe gespendet, so dass die Badegäste an diesen drei Tagen zu einem geringeren Preis baden konnten. Gegen Morgen würden die Nachtschwärmer hereinströmen, es würde noch einmal laut werden und vielleicht musste sie selbst eingreifen, wenn Cheroots imposante Gestalt Übermut oder Angriffslust nicht ausreichend dämpfen konnte.
Aber bis dahin genoss sie den Frieden. Ab und zu nahm sie einen Schluck von dem Wein, der tiefrot in dem geschliffenen Kelch vor ihr funkelte. Das Schnurren des Katers, der zusammengerollt auf der Fensterbank lag, und das leise Knirschen von Glas auf Glas waren die einzigen Geräusche. In diese Stille ertönte ein leises Klopfzeichen. Ohne den Kopf von ihrer Arbeit zu heben, rief LaPrixa:
»Komm rein, Cheroot. Was ist? Gibt es schon Ärger?«
Cheroot schüttelte den kahlen Schädel. »Nein, ist alles ruhig. Aber«, er zögerte und sie hob die Brauen. »Der Rote ist da.«
Die Hautstecherin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Aah, mein bester Freund! Ist die Kleine auch dabei?«, fragte sie lebhaft und als der riesenhafte Türsteher nickte, sagte sie: »Danke, Cheroot, wenn ich fertig bin, komme ich rüber. Sag wegen seinem verflixten Kahwe in der Küche Bescheid, die Bilha mach ich selbst fertig«, sie unterbrach sich. »Was schaust du wie eine durchnässte Katze?«
»Sie haben genommen nur eine Badezelle.«
Mit scharfem Knacken zerbrach der Glasstab zwischen LaPrixas Fingern. »Weil keine andere frei war?«
Cheroot schüttelte Kopf. »Nein, gab genug Zellen. Hat er sie nicht mal losgelassen, um Geld rauszuholen, hat sie unter sein Hemd gefasst und aus Gürtel geholt. Ich dachte, du solltest wissen ...«
LaPrixa nickte mit ausdruckslosem Gesicht. »Ja, ja, das sollte ich wohl. Du hattest Recht, Cheroot, ich danke dir.«
Als der Hüne die Tür leise hinter sich geschlossen hatte, starrte LaPrixa auf ihren Finger. Ein Blutstropfen quoll aus der Kuppe, wo die scharfe Kante des Glasstößels die Haut verletzt hatte. Aber sie tat nichts, um die Blutung zu stillen. »Er hat es also geschafft«, murmelte sie und die scharfen Linien waren in ihr Gesicht zurückgekehrt, grimmiger denn je.
Jermyn verstieg sich beinahe zu einem Dankgebet, so erleichtert war er, als sie das Badehaus verließen, ohne einem der Mädchen oder LaPrixa begegnet zu sein. Es war schön gewesen mit Ninian in dem duftenden, warmen Wasser und gewiss nicht ihre Schuld, dass sie nicht ineinander versunken waren. Aber er hatte es nicht fertiggebracht, sie dort zu lieben, wo er mit Bysshe gelegen hatte.
Die Nacht war weit fortgeschritten, aber von den großen Plätzen tönte immer noch der Lärm der Feiernden. Dort fanden sie sicher Garküchen, die noch geöffnet waren. Doch als er in Ninians leuchtendes Gesicht sah, zog es ihn zurück in den verlassenen Palast, zu dem großen Bett.
»Wir gehen zum Platz der Bettler«, sagte er und schlang den Arm um
ihre Hüfte. Ihre Hand legte er auf seine Schulter.
»Schau, so machen es die in den dunklen Vierteln, die ein Bett teilen.«
Sie lächelten sich an. Ninian hatte die Paare wohl gesehen und nicht gewagt, danach zu fragen. Jetzt drückte sie seine Schulter und schmiegte sich an ihn.
Wie Jermyn gehofft hatte, brannten Feuer auf dem Platz vor dem Wilden Viertel und über einem hing auch wirklich ein Kessel, aus dem es verlockend dampfte. Eine alte Frau hockte davor und rührte gleichmütig darin herum. Jermyn steuerte auf sie zu.
»Vielleicht gibt sie uns was. Sie sind hier nicht immer
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg