AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
dort oben stände?
Grimmig malte sie sich aus, wie sie die Stufen hinaufschritt und den Wachen befahl, dem jungen Herrn die Lady Ava von Tilholde anzukündigen. Donovan würde keine Diener schicken, er würde selbst herbeistürzen und sie freudig begrüßen, nicht abschätzend mustern und verdächtigen, wie Jermyn es bei ihrer ersten Begegnung in Dea getan hatte. Nein, Donovan würde ihr die Hand küssen.
»Liebste Ava ...«, würde er sagen. Und weiter?
Sie war nicht mehr Ava, sie war Ninian. Kein edles Fräulein, unberührt und frei, sondern eine Vogelfreie, eine Diebin und Geliebte eines Diebes.
Sie wollte Donovan nichts vorspielen und selbst wenn er sie, wie ein wahrer Edelmann, trotzdem aufnahm – es war nicht rückgängig zu machen. Sie konnte nie mehr Ava sein. Den Weg zu Donovan verschlossen nicht nur die Lanzen der Wachen.
Aber es gab andere Männer.
Jermyn verabscheute Duquesne ebenso wie Donovan, es wäre ein harter Schlag für seine Eigenliebe, wenn er erfuhr, dass sie den Hauptmann der Stadtwache aufgesucht hatte. Duquesnes dunkle Eleganz gefiel ihr ohnehin besser als Donovans vornehme Blondheit.
Er wusste nichts von ihrer Herkunft, für ihn war sie Ninian, die Abenteurerin, sie waren einander ebenbürtig. In ihrem Zorn zweifelte sie nicht daran, dass sie Duquesne für sich gewinnen konnte, trotz seiner harten Worte nach dem Einbruch.
Die Aussicht, dem beherrschten, kühlen Mann gegenüberzutreten, erfüllte sie mit Unruhe, aber es war eine prickelnde Unruhe. Diesmal würde sie die Augen nicht niederschlagen!
Sie fand ihn weder auf dem weitläufigen Hof des Stadthauses noch in den Stallungen. Die Wachstube wollte sie nicht betreten, auch nicht gerade heraus nach ihm fragen. Ratlos betrat sie den Schankraum und setzte sich unauffällig in die Nähe zweier Wächter, die mit aufgeknöpften Wämsen über ihren Bierstiefeln saßen. Aus ihren Reden erfuhr sie, dass Duquesne die Fürstin auf einem Besuch bei ihrer Familie begleitete und erst in einigen Tagen zurückkehren würde.
Zurück auf der Straße wusste sie nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Sie fühlte sich jämmerlich einsam, jeden Augenblick war sie mit Jermyn zusammen gewesen, sie hatte das Alleinsein verlernt. Ohne Ziel lief sie los und nach einer Weile merkte sie, dass ihre Sehnsucht nach freundlicher Gesellschaft sie zu Ely ap Bedes Stadthaus geführt hatte.
Aber auch hier klopfte sie vergeblich an. Der Türwächter erkannte sie und erzählte, dass Dame Enis mit dem ganzen Haushalt für einige Wochen in das Haus am Ouse-See übergesiedelt war. Sie hatte Ely das Versprechen abgenommen, sie zu besuchen, und gestern war der Herr mit seinen Schwiegersöhnen dorthin aufgebrochen.
»Begeistert war er ja nich, Fräulein«, meinte der Türwächter treuherzig, »aber 'n paar Tage wird die Madam ihn wohl festhalten.«
Sie ging noch bei den Ställen vorbei, um nach Luna zu sehen. Einen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, einen Ausritt zu machen, die passende Kleidung trug sie ja, aber die Vorstellung, alleine zwischen den reichen Müßiggängern herumzureiten und mit zweideutigen Blicken bedacht zu werden, behagte ihr nicht. Nachdem ihr der Erste Stallknecht versichert hatte, dass die Stute ausreichend bewegt wurde, machte sie sich missmutig auf den Weg. Sollte sie zum Schießplatz auf der Rennbahn laufen und Tyne suchen? Nach der Untätigkeit der letzen Wochen würde sie keine gute Leistung zeigen und nach Ermahnungen und Stichelei stand ihr jetzt nicht der Sinn.
Sie wanderte zurück zum Patriarchenpalast und ihr Groll auf Jermyn wuchs mit jedem Schritt. Hufgetrappel und ein aufgeregter Ruf ließen sie zum zweiten Mal an diesem unseligen Tag zur Seite springen und aufgebracht sah sie der vorbeirasenden Kutsche nach. Ihre Fingerspitzen prickelten in dem Verlangen, dem ungehobelten Fahrer eine Lektion zu erteilen. Er war seinem übermütigen Tier offensichtlich nicht gewachsen, aber schließlich gelang es ihm, den flotten Einspänner einige Längen weiter zum Halten zu bringen. Etwas an der schmalen, aufgeschossenen Gestalt kam ihr bekannt vor.
»Kaye!«
Überrascht, wie froh sie war, ihn zu sehen, lief sie zu ihm. Er strahlte über sein ganzes bewegtes Gesicht.
»Niiinian, aber das ist ja ganz reizend«, sprudelte er hervor, »ach, ich bin entzückt! Komm, komm, steig ein, leiste mir Gesellschaft.«
Er wendete den Wagen mit etwas Mühe.
»Was sagst du zu meiner neuen Errungenschaft?«, fragte er stolz. »Das
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