AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Füße steckten in Holzschuhen und unter ihrem Mieder trug sie nur ein dünnes Hemd. Sie brachte eine Wolke feuchter, warmer Luft mit, rötliches Haar kräuselte sich um ihr Gesicht und die feinen Strähnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, klebten an ihren Schultern. Sie blieb stehen und sah Jermyn entzückt an.
»Au weh, no so einer wie i. Unsere Kinder möchtn ja wohl die Köpf brennen, hah? Was meinst, wie wär's mit uns beide? Uns will ja doch sonst keiner.«
»Lass mal, Bysshe, an dem hättest du kein Vergnügen. Das ist ein kalter Fisch«, meinte LaPrixa hämisch. Jermyn machte eine ablehnende Geste als er an dem Mädchen vorbeiging, aber draußen sah er sich noch einmal um. Bysshe schien darauf gewartet zu haben, sie lächelte und zwinkerte ihm zu. Er erwiderte das Lächeln nicht, sondern wandte sich finster ab.
Als Wag erwartungsvoll von dem Holzpflock sprang, auf dem er gewartet hatte, schüchterte ihn Jermyns abweisende Miene dermaßen ein, dass er nicht wagte, nach seinem Erfolg zu fragen. Und es dauerte eine ganze Weile, bevor Jermyn endlich sein Schweigen brach und ihm die Neuigkeiten erzählte.
Sie warteten. Wag sah sich weiter auf den Straßen um, aber Jermyn war davon überzeugt, dass der Mann mit dem Goldnagel wusste, was der Verlust des Ringes bedeutete und sehr vorsichtig geworden war. Immerhin hatte er ihn schon nicht mehr offen an der Hand getragen, als Jermyn ihm das verräterische Schmuckstück abgenommen hatte. Wenn der Kerl schlau war, ging er nur noch selten aus und ließ sich an öffentlichen Plätzen überhaupt nicht mehr sehen.
Nein, LaPrixa war ihre einzige Hoffnung und Jermyn hoffte, dass die Eitelkeit des Mannes groß genug war, um ihn aus seinem Schlupfwinkel zu treiben.
Es fiel ihm schwer, die Untätigkeit zu ertragen. Wag fürchtete seinen beißenden Spott ebenso wie sein brütendes Schweigen und ging ihm nach Kräften aus dem Weg. Jermyn bemerkte es kaum, er bekämpfte die Ungewissheit, in dem er sich wie besessen in seine Kletterei stürzte. Kam Wag von seinen eigenen Streifzügen zurück, fand er ihn oft in schwindelnder Höhe an der Fassade des Palastes hängen. Durch einen Spalt in der Küchentür sah er zu, wie Jermyn sich an der Brüstung der Galerie entlang hangelte, hin und her, unermüdlich bis sein nackter Rücken im Fackelschein von Schweiß glänzte.
Seykos war ein begeisterter Anhänger der Gladiatorenkämpfe gewesen, er hatte die Übungsräume der Großen Schule besucht. Wenn er gut gelaunt gewesen war, hatte er Jermyn mitgenommen und mit seiner Geschicklichkeit geprahlt. Nach dem Vorbild dieser Übungsräume hatte Jermyn sich aus Leitern, Metallgewichten und einem Flaschenzug Geräte zusammengebastelt, an denen er Kraft und Ausdauer stärken konnte. Es war ein schweres Stück Arbeit gewesen, die einzelnen Teile auf die Galerie zu schaffen, und Wag hatte laut um seine Knochen gebarmt, bis ihn ein böser Blick zum Schweigen brachte.
Jermyn übte, bis ihm aus schierer Erschöpfung die Tränen kamen. Erst, wenn er mit schmerzenden Gliedern auf seiner Pritsche lag, schwiegen die quälenden Gedanken an den Brautschatz und an Ninian.
In einer mondhellen Nacht, etwa zwei Wochen nach dem Besuch bei LaPrixa, wagte er einen ersten Versuch an der Stadtmauer. Wag musste Schmiere stehen.
Sie machten sich auf den Weg, bevor der Mond aufging und warteten im Schatten des Torwegs, bis die grauen Quader in blasses Licht getaucht waren.
Wag schüttelte den Kopf und flüsterte: »Da willste hoch? Wo willste dich denn da festhalten, du bis doch keine Fliege nich.«
»Halt's Maul«, zischte Jermyn gereizt. »Wenn es so dunkel ist, dass du mich nicht mehr sehen kannst, mach die Laterne an, damit ich meinen Weg zurück finde. Rühr dich nicht vom Fleck, ich muss schnell hinunter, ein einzelner Lichtfleck ist auffällig. Hast du die Phosphorhölzer? Geh sparsam damit um, verstanden? Und hab ein Auge auf die Gasse und den Hof. Wenn jemand kommt, räusperst du dich und spuckst aus.«
»Und wo nehm' ich all die Augen her?«, nörgelte Wag, aber so leise, dass Jermyn, der sich die Stiefel auszog, es nicht hörte.
»Hier, nimm. Wenn wir schnell verschwinden müssen, hab ich keine Zeit sie anzuziehen.«
Er schlang sich das Seil um die Brust, prüfte den kleinen Beutel mit Haken und Klammern, den er am Gürtel trug und überquerte mit schnellen Schritten die Gasse. Wag hängte sich die Stiefel über die Schulter und sah ihm verzagt nach.
An der Stelle, die er sich als
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