AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
immer dran, dass de runterfällst?«
Es war Wag unbegreiflich, dass man freiwillig den festen Boden verlassen konnte, aber Jermyn hatte sich zu einer Antwort herabgelassen.
»Angst darf man nicht haben. Da oben denke ich nur daran, wie ich den nächsten Zug mache und an nichts anderes und das ist im Moment das Beste an der ganzen Kletterei.« Dabei hatte er ein Gesicht gemacht, dass Wag Angst und Bange geworden war.
Überhaupt verfiel er manchmal in ausgesprochen düstere Stimmungen. Vor allem, wenn er sich beim Patriarchenpalast oder in den Vierteln der Reichen herumgetrieben hatte, war sein Gesicht zerquält, als litte er Schmerzen. An solchen Tagen hütete Wag sich ihn anzusprechen und ging ihm aus dem Weg.
Das war nicht schwer. Jermyn war ein Eigenbrötler, manchmal sprach er tagelang nicht. Aber er hatte schnell herausgefunden, dass Wag weit offene Augen und Ohren hatte, nicht nur für Klatsch und Tratsch.
Wag grinste schadenfroh.
Fortunagra hatte ihn, harmlos und unauffällig wie er war, als Schnüffler eingesetzt und ihn in die Dienstbotenquartiere geschickt, um das Gesinde über seine Herrschaft auszuhorchen. Es würde ihm gewiss nicht gefallen, dass diese Kenntnisse einem anderen nutzten. Aber Wag erzählte Jermyn alles, was er wusste, dadurch hockten sie öfter zusammen in der Küche und allmählich wurde der schweigsame Junge mitteilsamer.
Er sprach davon, sich eine Stellung in den zwielichtigen Kreisen der Stadt zu erringen und Wag war zuerst etwas bänglich bei dem Gedanken gegen die mächtigen Patrone anzutreten. Er hatte in der Hackordnung immer ganz unten gestanden und erinnerte sich nur zu gut an all die Demütigungen, die er in seinem Leben als kleiner Gauner erfahren hatte. Die Vorstellung, sich dafür schadlos zu halten, erschien ihm plötzlich süß und wenn er den fanatischen Glanz in Jermyns dunklen Augen sah, die Hartnäckigkeit und Furchtlosigkeit, mit der er durch die altertümliche Trümmerwelt stieg, konnte Wag beinahe glauben, mit diesem Patron endlich Genugtuung zu erlangen.
Also führte er Jermyn zu den kleinen, unauffälligen Hehlern, die man leicht täuschen oder einschüchtern konnte. Er nannte ihm die Häuser, in denen die Herrschaft nachlässig mit ihren Wertsachen war und die Dienerschaft nicht im Griff hatte, so dass Türen und Fenster am Abend nicht sorgfältig verschlossen wurden. Wo die Wirtschafterin schwach war und die zuchtlosen Mägde einen Kavalier nachts gerne einließen.
»Da hat so'n junger Kerl wie du außer den Gewinn auch noch sein Spaß.«
»Und wer sich zu weit vorlehnt, hat noch immer 'ne blutige Nase gekriegt.« Mehr hatte Jermyn nicht gesagt, aber an seinem Blick hätte man sich schneiden können. Die anderen Ratschläge nahm er an und als ihm dadurch einige erfolgreiche Einbrüche gelungen waren, wurde er umgänglicher.
Die Suche nach diesem verflixten Brautschatz aber hatte sie zusammengebracht.
Wag schauderte, als er an die glänzende Kralle dachte und wunderte sich, dass er sie vergessen konnte. Und die Vorstellung, durch die Läden der Salbenbader zu ziehen, behagte ihm auch nicht. Aber was half's, wenn der Patron es befahl?
Er nahm einen letzten Schluck, um die unangenehmen Gedanken zu vertreiben und verkroch sich seufzend in seinem Kleiderhaufen.
22. Tag des Saatmondes 1464 p. DC
»So, ringeln soll sie sich! Das ist doch was für vornehme Jüngelchen, macht dir jeder Bader. Wie wär's mit einer hübschen Schmucknarbe auf der Stirn oder soll ich dich lieber kahl rasieren und dir eine Dämonenfratze stechen?« LaPrixa ließ sich deutlich anmerken, dass sie ihren Kunden nicht ernst nahm.
»Du meinst, so eine wie deine?«, gab er bissig zurück und die Hautstecherin warf den Kopf zurück, dass die kleinen Metallplättchen an den Enden ihrer vielen Zöpfe klirrten und lachte mit zusammengekniffenen Augen. Plötzlich schnellte ihre Zunge zwischen den Lippen hervor. Ein kleiner, silberner Knopf zierte ihre Spitze. Jermyn betrachtete ihn neugierig.
»Wozu soll das gut sein?«
Sie beugte sich so nah zu ihm, dass ihre Nasen sich fast berührten und züngelte lüstern.
»Möchtest du das wirklich wissen?«, gurrte sie, aber er wich nicht zurück.
»Nein, behalt's für dich, bestimmt ein Berufsgeheimnis.«
Sie lachte wiehernd und wurde unvermittelt ernst.
»Also, ich mach dir deine Locke, kostet natürlich bei mir mehr als beim Bader um die Ecke. Kannst du dir das leisten? Oder zahlt's der Papa?«
Jermyn lächelte.
»Was glaubst du denn,
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