AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
griff nach dem Schürhaken und stieß ihn damit an. Der Mann schrak zusammen und sah auf, aber als er Jermyn erkannte, geriet er in heftige Erregung. Unverständliche Laute drangen aus seinem Mund. Er schüttelte den Kopf und streckte abwehrend die Hände aus, dabei verdrehte er die Augen, bis nur noch das gelbliche Weiß zu sehen war.
Jermyn fluchte ungeduldig. Ohne Umschweife drang er in den Geist des Händlers ein und versank sogleich in einem Wirbelsturm aufgewühlter Empfindungen. Es dauerte einen Augenblick, bevor er in dem Meer aus Wut und Angst einzelne Gedankenfetzen erkennen konnte.
»Hab Erbarmen, Grausamer, ich weiß nichts, hab es schon dem anderen gesagt. Ich bin nur ein armer Händler, ein armer Händler. Oh, Götter, bedrängt, bedrängt bin ich von Unwürdigen, die Schmach ... verflucht sei Harad Sabir, verflucht seine Ränke, verflucht mein unseliges Geschick, seht den frechen Burschen, er stößt mich, als sei ich ein Straßenköter, früher hätte ich ihn auspeitschen lassen, ach nein, vergebt, vergebt, meine eigene Schuld ist es, zu gutherzig war ich, gutgläubig, nein, dumm und blind, stolz auf meine Stellung. Nun darf man meiner spotten, mich bedrohen, mich, der ich ein Fürst war! Oh, ihr Götter, habt Erbarmen, erlöst mich, ach, der Schmerz, der Schmerz ...«
Der alte Mann krümmte sich stöhnend. Jermyn schmeckte Trauer und Gram, bitter wie Wermut und zog sich betroffen zurück.
Gebrauche deine Kräfte nicht gegen die Schwachen und Wehrlosen und achte das innerste Heiligtum eines jeden anderen, sonst bist du ein Schuft und Gotteslästerer. Vater Dermots warnende Worte dröhnten plötzlich in seinem Schädel und zum zweiten Mal empfand er ungewohnte Gewissensbisse. Er hatte Wag gequält, weil der es gewagt hatte zu widersprechen. Jetzt drängte er sich bedenkenlos in die schmerzlichen Erinnerungen eines alten Mannes, wurde Zeuge von Empfindungen, die nicht für einen anderen bestimmt waren.
Seine Opfer waren ihm nicht feindlich gesonnen: Der Kunsthändler hatte ihm geholfen und an Wags Ergebenheit gab es keinen Zweifel und beide waren sie schwach und schutzlos.
»Du eingebildeter, überheblicher Feigling. Du bist nur ein Maulheld, einem richtigen Kampf würdest du dich nie stellen.«
Seine Wangen brannten. Ninian hatte das gesagt, vor langer Zeit, auf einem dunklen Turm ...
Mit Mühe schüttelte er die beklemmende Erinnerung ab, dann hockte er sich vor Vitalonga nieder und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Hört mir zu, Herr«, begann er respektvoller. »Ich sehe, Euch ist übel mitgespielt worden, aber glaubt mir, ich will nichts Schlechtes von Euch. Ich brauche Eure Hilfe«, der alte Mann fuhr erschrocken zurück, »nein, beunruhigt Euch nicht. Ihr sollt mir nur etwas erzählen. Ich weiß nicht, wie der Schatz der Castlerea aussieht und mein Gefolgsmann hat mir gesagt, dass Ihr große Kenntnisse über kostbare und seltene Dinge besitzt. Ihr seid Händler, ich will Euch einen Handel vorschlagen: Gelingt mir mein Vorhaben, so will ich Euch reich belohnen. Gelingt es nicht, so will ich Euch geben, was ich kann, und versuchen, Euch gegen den Bastard zu schützen.«
Der Händler blieb misstrauisch, aber der Aufruhr in seinem Inneren legte sich ein wenig. Er griff nach Schreibtafel und Griffel, doch Jermyn schüttelte den Kopf. Er wandte sich zu Wag und sagte:
»Geh hinaus und pass auf. Wenn jemand kommt, pfeifst du. Und mach dir keine Sorgen, es kann eine Weile dauern.«
Verwundert über die ungewohnt linden Töne, verschwand Wag und Jermyn nahm dem alten Mann die Schreibgeräte behutsam aus der Hand.
»Wir brauchen das nicht. Ihr werdet meine Stimme in Eurem Kopf hören und mir in Gedanken antworten. So können wir eine Unterhaltung führen, wie Ihr es von früher gewohnt seid. Seid Ihr einverstanden?«
Vitalonga blickte in das besessene Gesicht des jungen Mannes, der sich mit gekreuzten Beinen vor ihm niedergelassen hatte. Er ahnte, dass er keine Wahl hatte, aber sein voriger Besucher hatte gesprochen, als sei der alte Mann nicht nur schlecht, sondern auch blöde und hatte ihn damit tief gekränkt. Die höflichen Worte besänftigen ihn und so nickte er.
Die schwarzen Augen nahmen ihn gefangen und die fremde Stimme erklang in seinem Kopf. Aber sie drängte nicht, sie bat und Vitalonga sprach . Erst langsam und zögernd, dann immer selbstverständlicher und eifriger von dem geheimnisvollen Schatz der Castlerea, bis er endlich vergaß, dass dieses Gespräch nur in seinem
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