AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
kam nicht gut an, das merkte er, und so begann er eifrig die Reste der Mahlzeit zu beseitigen, um mit lautem Geklapper das gefährliche Schweigen zu übertönen.
»Wie kommst du eigentlich zu dem blauen Auge, Wag? Konntest du deine Finger nicht im Zaum halten oder deine Zunge?«
Wag zuckte zusammen und griff hastig nach der bunten Schwellung, die sich unter seinem linken Auge ausbreitete.
»Och, das ... da hab ich nur 'n bisschen Pech gehabt, Patron. Ich wollt mal was anderes als immer nur Brot un so was klauen, un hab mich am Volksplatz unter die Leute gemischt. Na, un einer von die feinen Pinkel hat 'n seidenes Tuch aus der Tasche hängn. Woher sollt ich denn wissen, dass da Silbergeld drin eingewickelt war? Alles klapperte aufs Pflaster, er dreht sich um, holt aus und da lieg ich. War eben Pech ...«
»Und wieso sitzt du hier und nicht im Loch?«
»Na, das war wiedrum Glück. Er hatte 'n Fräulein dabei, der war das ganze Aufsehn mächtig zuwider, also sagt sie, er soll mich laufn lassn. Richtig ösig is sie geworden un da hat er mir noch 'n Tritt gegeben und sagt, ich sollt verschwindn.«
Jermyn schüttelte den Kopf.
»Du spinnst, Wag, bleib lieber bei deinen Selleriestangen und Honigkuchen, sonst landest du doch im Kerker, solche Damen sind selten.«
»Oh, ja, Patron«, schwärmte Wag, »die war auch selten, 'n richtiger Hingucker, so 'n zierliches Püppchen un ...«
»Ja, ja schon gut«, knurrte Jermyn und stand auf, »ist mir doch gleich. Ich verschwinde.«
Er turnte den Pfeiler hoch und warf sich auf seine Pritsche. Weiber – sie machten einem nur das Leben schwer! Der Gedanke an Ninian blieb unerträglich, obwohl er wahrhaftig versuchte sie zu vergessen.
Bei Bysshe war es ihm nicht gelungen. Ein paar Mal hatte er das Bademädchen noch besucht, den Hunger seines Körpers bei ihr gestillt und dabei an Ninian gedacht. Aber schließlich nützte es nichts mehr, die Kerze zu löschen, das doppelte Spiel ekelte ihn an. Außerdem hatte Bysshe begonnen, zu seufzen und ihm schmachtende Blicke zuzuwerfen und er war nicht mehr zu ihr gegangen. Linderung fand er weder bei ihr noch im Wein, der nur seinen Geist schwächte.
Einzig die Jagd nach dem Brautschatz lenkte ihn ab und mit verbissenem Eifer stürzte er sich darauf.
Drei Nächte später versuchte er ein zweites Mal, die Stadtmauer zu überwinden. Wag stand zitternd Wache, als er sich grimmig entschlossen an den Aufstieg machte. Niemand hatte die Haken bemerkt, so dass der erste Teil des Weges schnell ging. Die Stelle, an der er beim letzten Mal gescheitert war, war nicht einfacher geworden, aber er hatte sich gründlich vorbereitet und diesmal gelang es ihm, sich an dem schmalen Griff hochzuziehen. In den folgenden Quadern fand er genügend Halt und schließlich saß er triumphierend auf der Mauerkrone. Das Licht reichte gerade noch um einen flüchtigen Blick auf die Palastanlage dahinter zu werfen, dann schwand es und er seilte sich ab. Der nächste Aufstieg würde einfacher sein, da nun überall in der Mauer Haken steckten.
Wag atmete erleichtert auf, als Jermyn neben ihm stand und seine Schuhe anzog.
»Ich versteh nich, warum du da unbedingt hoch musst, Patron. Wir sollten uns lieber vom Ehrenwerten Fortunagra fernhalten.«
»Ich muss wissen, wie ich an ihn rankomme«, erwiderte Jermyn, »außerdem ist diese Mauer eine Herausforderung. Ich glaube nicht, dass hier schon mal jemand hochgeklettert ist.«
»Warum auch?«, brummte Wag und schulterte den schweren Beutel.
»Du wirst es schon noch sehen. Vielleicht sollte ich dich die Wände hochjagen. Wer weiß, ob ich nicht einen Helfer bei dieser Schatzsuche brauche.«
Wag winkte erschrocken ab. »A...aber nich mich, Patron. Ich mach ja manches, aber wie 'ne Fliege an der Wand kleben – nee, das kann ich nich. Mir wird schon schwindelig, wenn ich die Leiter hochsteigen muss. Nee, da such jemand anderen.«
»Aber ich will keine Mitwisser oder Teilhaber. Wir versuchen es mit dir.«
Wag stöhnte und schlurfte unglücklich hinter Jermyn her.
Zwei Tage und mehrere missglückte Versuche später musste Jermyn einsehen, dass man Wag nicht vom festen Boden trennen konnte. Schon in geringen Höhen wurde er grün im Gesicht und schlaff wie eine Lumpenpuppe. Die Kraft fehlte ihm und seine empfindlichen Fingerkuppen waren nutzlos an den rauen Mauerwänden. Jermyn fand sich widerwillig damit ab, dass er sich einen anderen Helfer suchen musste, während Wag nicht versuchte, seine Erleichterung zu
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