AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Kunsthändler, der seine Kunden betrügt?« In der Asche von Vitalongas Wesen flammte Stolz auf, wie vergessene Glut. »Ich war Ratgeber und Freund eines Fürsten und stand seiner Schatzkammer vor. Nichts liebte er mehr, als kostbare und seltene Dinge zu sammeln und so bereiste ich für ihn alle Gegenden der Welt, um Kleinodien für ihn zu erwerben. Wenn auch der Schatz der Castlerea niemals zum Verkauf stand, so konnten sie dem Gesandten eines regierenden Fürsten doch nicht abschlagen, den Schatz zu betrachten, in die Hand zu nehmen und Zeichnungen anzufertigen, um seinen Herrn damit zu erfreuen. Als ich nach meinem Sturz – oh, bitteres Geschick – hierher kam, bedienten sich die vornehmen Herrn und Damen gerne meiner Kenntnisse, man brachte mir Schätze aus allen Orten und Zeiten – es gibt nicht viel, was mir unbekannt ist.«
»War der Bastard deshalb hier?«
»Ja, der Hauptmann glaubt, ich wüsste etwas über den Diebstahl, da ich viele Sammler kenne. Manche wären vielleicht skrupellos genug, die Juwelen zu kaufen. Er hat mich bedroht, als sei er sicher, dass ich damit zu tun habe. Aber niemals würde ich diesen Schatz anrühren, er ist zu erhaben und zu gefährlich.«
Der alte Mann schloss die Augen und lehnte sich erschöpft zurück. Auch Jermyn rieb sich benommen die Schläfen, die Verbindung war lang und eng gewesen.
Als er wieder ganz bei sich war, nickte er dem Alten zu.
»Ich danke Euch. Nur eines muss ich jetzt noch wissen: Wo bewahrten die Castlerea ihn auf und wie konnte er gestohlen werden?«
Der alte Mann öffnete die Augen und sah Jermyn ausdruckslos an, dann griff er nach seinen Schreibgeräten, kritzelte etwas darauf und reichte sie über den Tisch.
IN EINER SCHATULLE IM GRUNDSTEIN DES HAUPTPFEILERS IHRES HAUSES / MAN BRAUCHT ZWEI SCHLÜSSEL DIE CASTLEREA UND SEINE FRAU BESITZEN / BEIDE SCHLÜSSEL SIND DA NIEMAND WEISS WIE DER SCHATZ GESTOHLEN WURDE
Jermyn las die Worte aufmerksam und wischte sie sorgfältig weg.
»Man sollte also bei Castlerea und seiner Frau mit der Suche anfangen«, murmelte er.
Der Kunsthändler schüttelte nur den Kopf, es war deutlich, dass er nichts mehr sagen wollte. Jermyn stand auf und streckte sich.
»Ich werde kommen, wenn ich mehr weiß. Ihr solltet lieber nichts von unserem Gespräch erzählen. Lebt wohl, Vitalonga.«
Draußen hatte Wag gehorsam Wache geschoben. Ab und zu hatte er das Ohr an den Vorhang gehalten, aber da es nichts zu hören gab, war er zum Flussufer geschlendert und hatte Steine ins Wasser geworfen.
Getreulich hatte er sich umgesehen, aber weder von der Treppe noch aus einem der anderen schäbigen Läden unter der Brücke war eine Menschenseele gekommen. Es fiel ihm nicht ein hochzublicken und so bemerkte er die Gestalt am Geländer nicht, die ihn nicht aus den Augen ließ.
Jermyn gab sich mit seinem Bescheid zufrieden und auf dem Rückweg in das Ruinenfeld war er zu sehr mit dem beschäftigt, was er von Vitalonga erfahren hatte, um auf den Schatten zu achten, der ihnen folgte.
Nach dem Besuch bei dem Kunsthändler wurde das Leben leichter für Wag. Besessen von den Gedanken an den Brautschatz, übte sich Jermyn mit verbissener Ausdauer in den Ruinen und an seinen Klettergeräten und schwitzte so seine Gereiztheit aus. Manche Wände, an denen er jeden Tritt und Griff kannte, erstieg er in mondlosen Nächten, um seinen Tastsinn zu schärfen. Wenn ein Aufstieg vertraut genug war, musste es möglich sein, den Weg mit den Händen und dem inneren Auge zu sehen, so dass man auf das verräterische Mondlicht verzichten konnte.
Er ließ sich öfter in der Küche blicken, verschlang alles, was Wag ihm vorsetzte und redete dabei von nichts anderem als dem Schatz.
»Wenn man nur wüsste, ob Castlerea ein Laster hat, mit dem man ihn erpressen konnte«, überlegte er laut und nahm sich das letzte Fleischstück. Wag sah ihm betrübt nach und erwiderte:
»Ach nee, der hat keine Laster, der is die Tugend selbs un seine Alte is noch schlimmer. Der wollte doch glatt die Wilden Nächte abschaffen, weil da alle saufen un huren, das vornehme Volk genauso wie unsereins. Außerdem, wenn du seinen Schlüssel hast, haste noch nich' ihren.«
»Stimmt schon, aber hat so ein Tugendbold nicht noch mehr Grund, seine Schweinereien zu verheimlichen?«
»Du musst es ja wissen, Patron.«
Jermyn warf Wag einen scharfen Blick zu. Er hatte den Besuch im Badehaus nie erwähnt und Wag hatte sich bisher nicht getraut, nun erlaubte er sich die kleine Anspielung. Sie
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