AvaNinian – Zweites Buch
jetzt!«
Ein langgezogener Seufzer folgte seinen Worten, einen Moment lang lag das Mädchen reglos, während ihre Brust sich hob und senkte. Endlich richtete sie sich auf und wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
»Du bist ein richtiger Leuteschinder, Jermyn, weißt du das?«
Er grinste, zog die Leine hoch und wand sie um einen eisernen Fackelhalter in der Mauer. Sie lief über einen Flaschenzug an der Decke und hielt eine Stange mit Sandsäcken an beiden Enden, eine Vorrichtung zur Kräftigung der Arme und Schultern, wie sie die Ringer in den Gladiatorenschulen benutzten. Jermyn hatte sie dort gesehen und ein ähnliches Gerät in ihrem Übungsraum aufgebaut. Täglich übten sie an der Stange und immer schien es Ninian, als mute er ihr zu viel zu, als müssten ihre Arme unter dem Gewicht der Sandsäcke brechen wie dürres Rohr. Nie gelang es ihr, die Übung in verbissenem Schweigen durchzustehen - bei den letzten Stößen flehte sie unweigerlich um Gnade. Doch Jermyn schien größeres Vertrauen in ihre Kraft zu haben als sie selbst und manchmal fragte sie sich, ob er es wohl merken würde, wenn er sie wirklich überforderte.
»Sehr viel kann dir nicht an mir liegen, wenn du mich so quälst«, sagte sie vorwurfsvoll, während sie das Hemd auszog und sich bäuchlings auf die Pritsche legte.
Jermyn lachte. Er nahm das Salbengefäß vom Kaminsims, kniete neben ihr nieder und träufelte herb duftendes Bergwurzöl auf ihren Rücken.
»Im Gegenteil, meine Süße, mir liegt unendlich viel an dir. Deshalb möchte ich sicher sein, dass deine Arme dich nicht im entscheidenden Moment im Stich lassen. Ist es gut so?«
»Hmm, sehr gut. Mach schön weiter ...«
»Außerdem müssen wir uns auf die Wilden Nächte vorbereiten, wir werden drei Nächte lang kein Bett sehen.«
»Nein? Wie schade«, murmelte sie in ihre Armbeuge und wieder lachte er. »Keine Bange, wir werden genug Spaß haben!«
Sie drehte den Kopf und blinzelte ihn an.
»Du machst mich wirklich neugierig auf diese Wilden Nächte. He, ich wusste nicht, dass ich da unten auch eine Abreibung brauche ...«
Eine Weile genoss sie seine zärtlichen Hände, dann flüsterte sie atemlos: »Lass, Jermyn, wenn Kamante heraufkommt ...«
»Egal«, murmelte er ohne aufzuhören und schließlich entwand sie sich ihm.
»Mir ist es nicht egal, sie ist doch fast noch ein Kind, ich will nicht, dass sie uns so sieht.«
Jermyn stand auf.
»Ich weiß nicht, was du denkst - sie ist kein Kind! Was glaubst du, was sie mitgemacht hat, seit sie geraubt wurde? Viel mehr als du, darauf möchte ich wetten!«
Ninian errötete. Sie hasste den herablassenden Tonfall, in dem er ihr ihre Unwissenheit über die Schlechtigkeit der Welt unter die Nase rieb.
»Deshalb macht es auch nichts, dass du ihr die Taschendieberei beibringst, oder?«, gab sie schnippisch zurück und schlüpfte in ihr Hemd. Jermyn hob die Brauen und lächelte dünn.
»Ach ja, heute wollten wir ja weitermachen mit dem Scheiß.«
Sie funkelten sich unfreundlich an, dann zuckte Ninian die Schultern.
»Lass uns runtergehen, vielleicht wirst du ja umgänglicher, wenn du dein Gebräu getrunken hast.«
Mit hocherhobenem Haupt rauschte sie hinaus und er folgte ihr.
»Und du schmurgelst dir am besten erst mal ein Pfeifchen rein und außerdem bin ich schneller unten!«
Aber als sie wenig später atemlos vor der Küche standen - Ninian über den Mauerrest, Jermyn über die Leiter - drang kein aromatischer Duft nach geröstetem Kahwe heraus, sondern lautes Gezeter.
»Muss heute in der Luft liegen«, murmelte Jermyn anzüglich und stieß die Tür auf.
Auf der heißen Ofenplatte lagen unbeachtet Gerstenfladen, die an den Rändern schon dunkel wurden. Den eisernen Pfannenwender schwenkte Wag anklagend in der Luft, um seinem Schelten Nachdruck zu geben. Sein schütteres Haar stand in alle Richtungen vom Kopf ab und sein Gesicht war gerötet, ob vor Zorn oder von der Hitze des lodernden Kaminfeuers war nicht zu sagen.
»Un ich sage, du gehst nich allein los, Mädchen! Das is viel zu gefährlich, un nimm diesen Tand aus den Haarn, du siehst aus wie die losen Frauenzimmer am Hafen. Wo haste das Zeug überhaupt her?«
Er deutete mit seinem Küchenwerkzeug auf zwei breite Bänder aus billigem Flitter und Blechmünzen, die Kamante sich kunstvoll um ihr krauses Haar gewunden hatte. Das Mädchen hockte auf einem dreibeinigen Schemel, die Mühle für die Kahwebohnen vergessen zwischen den Knien, und starrte mit eigensinnig
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