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AvaNinian – Zweites Buch

AvaNinian – Zweites Buch

Titel: AvaNinian – Zweites Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Norman
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konnte, und sie biss sich auf die Lippen. Sie sprachen nicht oft von den Guten Vätern und wenn sie es taten, waren seine Worte abfällig, als hege er immer noch einen Groll gegen sie. Doch zu ihrer Überraschung antwortete er ohne Zorn.
    »Die Kräfte des Geistes wirken stärker, je mehr der Schüler von sich absieht. Er muss seine Gefühle und Empfindungen beherrschen, seine Triebe zügeln, seine Leidenschaften zähmen. Wer vollkommen in sich selber ruht, kann mit seinem Geist die ganze Welt umspannen und ihr gebieten!«
    Er hatte die Worte in dem belehrenden Tonfall Vater Dermots gesprochen.
    »Und das hast du gelernt, ausgerechnet du?«
    Über ihnen wurde ein Fensterladen aufgerissen.
    »Obacht, Pisse!«, gellte eine Stimme. Jermyn zog Ninian gerade noch in den Schutz der überhängenden Hauswand, bevor die gelbe stinkende Brühe aus einem Nachtgeschirr nach allen Seiten spritzte.
    »Komm, verschwinden wir lieber, sonst kann ich nicht dafür garantieren, dass ich mich im Zaume halte.«
    Er sprach weiter, während sie durch den Unrat der Gasse stelzten.
    »Ich habe es gelernt, wenn es mir auch verdammt schwergefallen ist. Dieser Spruch ,der ganzen Welt gebieten’ gefiel mir. Es gibt Übungen, mit denen man den Geist klärt und schärft, und man muss gegen seine, na, ja, seine niederen Gefühle ankämpfen. Deshalb haben sie mich ja mit unserem Fürstlein zusammengesteckt, nicht immer erfolgreich, wie du weißt!«
    Sein Lachen klang gedämpft durch das Mundtuch.
    Armer Donovan, dachte Ninian, aber sie sagte nichts, um den ungewohnten Redefluss nicht zu unterbrechen.
    »Hat man eine bestimmte Stufe erreicht, kann man die Gedankenkräfte benutzen, ohne jedes Mal Übungen zu machen, so ähnlich wie ein guter Schwertkämpfer ja auch nicht vor jedem Kampf üben muss. Vernachlässigt man die Übungen zu lange, wird es wieder schwieriger, die Kopfschmerzen kommen zurück und man braucht mehr Kraft. Und wer seine Gefühle nicht in der Hand hat, wer der Wut die Zügel schießen lässt, verliert seine Waffe und wird schwach.«
    »Und? Machst du sie regelmäßig, deine Übungen?«
    »Nein, genauso wenig wie du!«
    Sie warf den Kopf in den Nacken. »Das brauch ich auch nicht«, erwiderte sie kühl.
    Er wusste, dass es so war. Ihre Kräfte wurzelten in den Tiefen der Erde und einen Augenblick lang beneidete er sie für ihr unerschütterliches Vertrauen in die Zuneigung der Erdenmutter. Sie musterte ihn nachdenklich.
    »Hast du je versucht, in ... in mich hineinzusehen?«
    »Nein, und das weißt du auch!«
    Er sagte es schnell und heftig, denn die Versuchung war manchmal kaum zu ertragen. Die hellen Augen über dem Tuch wurden zu blitzenden Sicheln.
    »Aber gib zu, dass es dir beim Schachspielen schwer fällt!«
    Er fühlte sich ertappt und lachte ein wenig gezwungen.
    »Ich verliere nicht gern, aber keine Angst, bis jetzt konnte ich mich beherrschen«, er wurde wieder ernst. »Glaub mir, Ninian, ich werde niemals gegen deinen Willen in deine Gedanken sehen!«
    Sie waren stehen geblieben.
    »Ich weiß, ich habe es nie gefürchtet.«
    »Seit du da bist, brauche ich keinen Sternenstaub mehr!«
    Jermyn drückte ihre Hand und sie hob in gespielter Empörung die Brauen. »Reizend, ich bin also ein besseres Mittel gegen Kopfschmerzen.«
    »Nein, aber gegen das Elend!«
    Sie hatten vergessen, dass sie mitten auf der Gasse knöcheltief im Dreck standen. Ninian zog sanft an dem dünnen Zopf, der leuchtend rot auf dem schwarzen, mit Wassertröpfchen benetzten Lederwams lag. Jermyns Herz machte bei der Zärtlichkeit in ihren Augen einen Satz, er nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie durch die dünnen Mundtücher.
    »Oi, Mann, kannste die Schickse nich woanders abschlecken? Hier gibs Leute, die was zu tun ham.«
    Sie fuhren auseinander und sahen sich um.
    Der Sprecher stieß seinen Stock mit einem langen Dorn am Ende auf den verwitterten Trittstein, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Ein Trödler war es, krummbeinig, mit rundem Rücken vom zu Boden starren. Neben ihm stand ein zweirädriger Karren, hochbeladen mit Kehricht und Abfällen. Ganz obenauf lag der Kadaver eines Hundes und der zottige Köter, der in die Deichsel gespannt mit hängendem Kopf wartete, wirkte nicht viel lebendiger.
    »Kschksch ...«
    Ungeduldig wedelte der Mann mit der Hand, als wolle er eine Katze verscheuchen. Ninian runzelte zornig und verlegen die Stirn, Jermyn aber zog ohne Eile das Tuch vom Gesicht.
    Klappernd fiel der Stock auf die Steine.
    »Oi

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