AvaNinian – Zweites Buch
entzündet und in ihrem Schein sahen sie sich in dem großen Gemach um.
»Das soll eine Schatzkammer sein? Da sieht’s ja in Vitalongas Lager prächtiger aus. Wo gibt’s denn hier Schätze?«
Ninian sprach für alle, - den sorgsam gehüteten Hort des Reichtums im Herzen des alten Palastes hatten sie sich anders vorgestellt.
Die Wände waren bis zur Decke weiß gekalkt, es gab keine Spinnweben, keine staubbedeckten Haufen von Gold und Juwelen und das einzig unheimliche in dem ganzen Raum war das unregelmäßige Loch in der Wand, durch das sie gekommen waren. Mehrere Kästen waren ordentlich an den Wänden gestapelt, in der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch mit vier Stühlen und einem majestätischen, in schweren Brokat gehüllten Sessel an der Stirnseite. Auf dem Tisch lag ein Stapel Papierrollen, daneben Schreibfedern und Tintenfässer und eine kleine Waage. Es sah aus wie in einer Schreibstube.
In eine Nische in der Wand, die ihrem Einstieg gegenüber lag, war ein Schrank geschoben, ein einfacher, unverzierter Schrank mit schweren eisernen Beschlägen und einem Schloss, das selbst von außen ehrfurchtgebietend wirkte.
Bei seinem Anblick ließ Knots seine Knöchel wie Knallfrösche knacken und hockte sich davor, während Babitt und Jermyn sich die Kästen vornahmen. Nach einigen Versuchen mit den Dietrichen stellten sie fest, dass ihr Können diesen Schlössern gewachsen war und sie Knots nicht damit belästigen mussten. Mule hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und döste vor sich hin, während Ninian die Schriftrollen untersuchte. An einer erbrach sie das große rote Siegel und rollte sie auseinander.
»Hier steh’n bestimmte Tage und dahinter Geldsummen. An manchen Tagen nur Kupfermünzen, an anderen nur Halbsilber, wie im Kontor von Ely ap Bede. Nichts von Juwelen und anderen Kostbarkeiten. Langweilig ...«
Sie schnalzte geringschätzig mit der Zunge.
»Kann ich nicht sagen«, widersprach Jermyn zufrieden, eine Hand tief in einem Beutel vergraben. Als er sie hervorzog, rann ein Regen glänzender Silbermünzen durch seine Finger. Auch Babitts Laune hatte sich gehoben. Eifrig leerte er einen Kasten nach dem anderen und neben Silber-, Halbsilber- und Kupfermünzen fanden sie auch zwei kleine Säckchen mit Goldstücken. In den beiden untersten Kästen aber machten sie schließlich einen Fund, der selbst Ninian zufriedenstellte: Sie waren angefüllt mit Stäben aus gediegenem Gold von der Länge und Stärke eines Männerfingers. Sie lachte entzückt, als sie einen davon in der Hand wog.
»Das sieht schon eher nach Schatz aus.«
»Ja, aber dann sollten wir den anderen Tinnef hier lassen«, erwiderte Babitt nüchtern und Mule, der vom Glanz des Goldes angezogen herangeschlurft war, nickte bedächtig.
»Jau, sonst schlepp ich mir krumm.«
Trotz der reichen Beute konnte Babitt keine rechte Freude empfinden. Unruhig sah er zu Knots hinüber, der über dem Handwerkszeug brütete, das er auf dem Boden ausgebreitet hatte. Jermyn folgte seinem Blick, er befahl Mule, die Goldstäbe in die mitgebrachten Ledersäcke zu packen, und schlenderte zu Knots hinüber.
»Schau Ninian, hier können wir noch was lernen«, spöttelte er.
»Darauf kannst du dich verlassen!«, raunzte Babitt, der ihm gefolgt war.
Knots kauerte vor dem Schrank wie vor einer Gottheit, die er anbetete. Die Zuschauer schien er gar nicht zu bemerken. Vorsichtig schob er einen dünnen Draht in das Schlüsselloch. Während der langsam verschwand, legte Knots sein Ohr an das Schlossblatt und lauschte mit gesammelter Miene und unter fürchterlichem Schielen. Nach einer Weile kam er nicht mehr weiter, er zog den Draht hervor, befühlte und beroch ihn und führte ihn aufs neue ein. Sie hörten das leise, metallische Schaben und Klicken, aber schließlich hakte das Gerät wieder und Knots hatte einige Mühe es freizubekommen.
Er legte den Draht beiseite und schüttelte bekümmert den Kopf.
»’N altes Ding, Patron, Gewirrschloss, wenn ich mich nich irre, un eins von die knifflichen. Mal sehn ...«
Er wählte einen anderen Draht und das Spiel begann von neuem, aber über einen bestimmten Punkt kam er nicht hinaus und allmählich geriet er ins Schwitzen.
»Da sin mehr Windungen drin als im Gekröse von ’ner Kuh,« murmelte er und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.
»Jawoll, un wenn du nich schnell machst, sitzen wir bald in mehr Scheiße als in so ’nem Gekröse drin is!«, knurrte Babitt. Es war nicht seine Art, Druck auf
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