Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
Unterhaltung mitbekommen, denn er lächelt mich verständnisvoll an, während er mit einer Hand über die Comicfiguren auf seinem Schlips streicht.
»Lustige Krawatte.«
»Seien Sie ruhig ehrlich. Sie ist nicht besonders schön. Aber mein Ur-Enkel hat sie mir geschenkt. Und meine Familie ist mir wichtiger, als der Mode zu entsprechen.« Sein Tonfall ist zärtlich, es ist nicht zu überhören, wie gern er seinen Ur-Enkel hat.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Die Krawatte steht Ihnen sehr gut. Mir ist meine Familie auch wichtiger als Mode.«
»Brava.« Er streicht mir über den Arm. »Ein Campari-Orange. Das macht drei Euro sechzig bitte.«
»Wirklich? Das ist aber günstig.« Ich reiche ihm einen Fünfeuroschein.
»Man trinkt ja al banco , also an der Bar. Das macht den großen Unterschied. Wenn Sie sich draußen an einen Tisch setzen, müssen Sie in der Regel mehr bezahlen.«
»Ach so.« Ich nehme mein Wechselgeld entgegen, lächele den alten Herrn an und versuche zu vermeiden, dass sich mein Blick mit Raffaeles kreuzt. Dann trotte ich etwas niedergeschlagen zurück ins Hotel. Ich weiß ja, dass ich keine Fashionista bin, aber dass ich gleich auf den ersten Blick auffalle, hätte ich nicht gedacht. Erschöpft vom langen Gehen, betrete ich wenig später mein Zimmer im Hotel, das im Gegensatz zur Fassade frisch renoviert ist, und lasse mich in das nach Lavendel duftende Bett fallen. Dann greife ich nach der Broschüre auf dem Nachttisch. Ofensichtlich kann man hier das Kopfkissen auf die persönlichen Bedürfnisse abstimmen – im Kissen-Menü stehen zehn Varianten zur Auswahl: Das Modell Luxury wird als der Ferrari unter den Daunenkissen angepriesen, die Nackenrolle Vital unterstützt die Halswirbel, und das Dinkelkissen Royal hilft bei Muskelverspannungen, akutem Hexenschuss und rheumatischen Beschwerden. Nur gegen akute Einsamkeit hat man hier offensichtlich nichts im Programm ...
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Do Italians better?
Oder ... warum man den italienischen Mann auf der Piazza findet
Eine Kolumne von Dana Phillips
Liebe Komplizinnen! Ob der Campo in Siena oder der Markusplatz in Venedig – la vita italiana würde ohne die Piazza, das Herzstück jeder Stadt, nicht funktionieren. Denn da selbst der Alltag für den Italiener eine Theaterinszenierung ist, braucht er die Piazza als Bühne für seinen großen Auftritt. Fast das ganze Jahr über trägt er das Leben aus den Häusern hinaus auf den großen Platz, lässt sich sehen, flaniert und macht Geschäfte – alles vor Publikum und niemals, ohne nicht auch eine Botschaft zu übermitteln. Denn wo ließe sich ein Gerücht besser zerstreuen als hier? »Seht her, ich bin reich!«, scheint der Hochstapler in seinem maßgeschneiderten Anzug beim Gang über den Platz zu rufen. »Seht her, ich bin nicht pleite!«, suggeriert der Unternehmer, der seine Freundin zum Essen einlädt. Und das Ehepaar, das seit Jahren zerstritten ist, demonstriert, die Kinder an der Hand, seine Verbundenheit. Aus den Bars am Rande des Platzes dringen Gesprächsfetzen hinaus in die laue Sommerluft, hier werden am Tresen bei einem schnellen cafe die letzten Neuigkeiten ausgetauscht. Al banco, nur im Stehen, damit man bei Bedarf schnell wieder hinaus ins Freie eilen kann. Schließlich möchte niemand etwas von der Aufführung, die dort gespielt wird, verpassen. La Piazza ist, das ist mir in Mailand klar geworden, ein multifunktionales Wunderwerk, sie ist Welt, Bühne, ein Zuhause und deshalb für einentaliener unverzichtbar! Ich freue mich schon darauf, hier demnächst mit dem Mann meiner Träume eine bella figura zu machen ...
Avanti Amore! Ihre Dana.
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2. M ilano
Getränk: Vino bianco
Freund des Tages: Paolo, der Kellner-Zwilling
Place to be: Brera
Erkenntnis: Ein aufmerksamer Italiener ist ein guter Italiener
M ein erster Gedanke an meinem zweiten Tag in Mailand gilt einem italienischen Mann. Mit dem Laptop auf den Knien begebe ich mich auf die Suche nach Mario, meiner Liebe aus Kindheitstagen. Das Foto von Mario und seinem Trüffelhund liegt vor mir. Was wohl aus dem dreizehnjährigen Jungen von damals geworden ist? Arbeitet er vielleicht – ganz Klischee – als Pizzabäcker? Gehört ihm eine Pastafabrik? Oder ist er womöglich bei der Mafia gelandet und ziert jetzt die Steckbriefe der Polizei in Neapel? Da ich – außer seinem Alter – nicht besonders viel über Mario weiß, ist meine Internet-Recherche nicht besonders ergiebig. Zweihundertacht Millionen Einträge bei Google.
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