Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
Seine Ermahnungen, allen Schmuck und meine Kreditkarten im Hotel zu lassen und nur wenig Bargeld eng am Körper versteckt mit mir herumzutragen, habe ich zwar befolgt, sie erscheinen mir aber mittlerweile fast ein wenig albern. Erneut rufe ich bei Raffaele an.
Pronto?«
»Ich bin es noch mal. Ich habe was vergessen: Was Neapel betrifft, muss ich dir leider sagen, dass die Stadt wirklich friedlich ist. Ich glaube, ihr Norditaliener habt einfach ein Problem mit dem Süden, warum auch immer. Dabei ist hier alles halb so wild. Die Leute sind hilfsbereit und freundlich, die Stadt ist wirklich aufregend, und die Pizza, die ich vorhin gegessen habe, war großartig. Vielleicht also, ganz vielleicht, irrst du dich auch einfach manchmal. Und genauso, wie du dich mit Neapel geirrt hast, könnte es ja auch sein, dass du falsch liegst, was Fosco betrifft. Möglicherweise meldet er sich doch noch. Du wirst schon sehen, er ruft mich an.«
»Das kann natürlich sein«, sagt Raffaele wenig überzeugt. Im Hintergrund höre ich Gläser klappern. Offensichtlich ist er schon im Zucca, was bedeutet, dass ich ihn nicht zu lange von der Arbeit abhalten darf. »Aber was Neapel betrifft, kann ich meine Bitte nur wiederholen. Sei vorsichtig. Und lauf nicht nachts alleine herum!«
»Mit wem soll ich denn sonst herumlaufen außer mit mir selbst? Ich bin schließlich alleine unterwegs.«
»Sehr witzig, Dana. Ich meine doch nur, du sollst gewisse Gegenden meiden. Wo ist denn dein Hotel?«
»Am Hafen.«
»Na, da solltest du abends auf jeden Fall ein Taxi nehmen. Und wenn ich Taxi sage, meine ich Taxi. Nicht mit irgendwem mitfahren, der es dir auf der Straße anbietet. Du hättest dir wirklich woanders eine Unterkunft suchen sollen. Ausgerechnet am Hafen!«
»Aber die Leute, die dort arbeiten, sind sehr nett! Und der Blick ist einmalig!«, sage ich trotzig, nicht gewillt, ihm schon wieder Recht zu geben. Immerhin habe ich nicht einmal gelogen, denn von meinem Fenster aus kann ich tatsächlich über den Hafen hinaus auf das Meer und die neapolitanische Küste blicken.Ich sehe sogar den Vesuv!«, füge ich hinzu und beschließe im selben Moment, Raffaele zu verschweigen, dass mein Hotel keineswegs ein richtiges Hotel ist, sondern eine Pension.
»Das klingt in der Tat beeindruckend«, lenkt Raffaele ein. »Schön, dass du offensichtlich gut untergebracht bist. Mir ist es einfach lieber, ich weiß dich gut aufgehoben.« Einen kurzen Moment spüre ich so etwas wie ein schlechtes Gewissen, denn natürlich ist das, was ich Raffaele erzählt habe, nur die halbe Wahrheit. Ja, meine Unterkunft ist günstig, ja, die Betreiber sind nett, und der Blick über die nächtlich erleuchtete Küste ist, wenn man seine Umgebung vergisst, nicht weniger beeindruckend als der in Portofino. Aber die Tatsache, dass ich, um zum Eingang der albergo Aurora zu gelangen, über einen hohen Müllberg klettern muss, dass im Treppenhaus die Fensterscheiben fehlen oder der Fahrstuhl nur funktioniert, nachdem man ein Fünfcentstück eingeworfen hat, lassen darauf schließen, dass die Armut in Neapel eben doch groß und somit das Verbrechen wahrscheinlich nicht sehr weit ist. Aber das will ich auf keinen Fall zugeben, denn gerade jetzt brauche ich nichts so sehr wie den Glauben daran, dass Raffaele sich irren kann. Wieder klappern Gläser im Hintergrund.
»Störe ich dich? Soll ich mich später noch einmal melden?«
»Nein, nein, du störst doch nie. Und außerdem ist gerade ausnahmsweise einmal kein Gast da. Was hast du denn bisher so gemacht?«
»Gestern war ich in Pompeji! Das war unglaublich beeindruckend. Und ein wenig gruselig. Diese ganzen versteinerten Gestalten, die armen Menschen, die es nicht geschafft haben, rechtzeitig vor dem Vulkanausbruch zu flüchten.«
»Es ist viel Unheil in der Welt geschehen, aber wenig, was den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte.«
»Bitte?«
»Goethe. Dein Landsmann. Das Zitat über Pompei solltest duls Deutsche eigentlich kennen. Weißt du, dass der Vulkanausbruch im Jahr neunundsiebzig weit über tausend Menschenleben gefordert hat?«
»Nein, ich habe keine Führung gemacht, ich hatte so schon Mühe, die ganzen Eindrücke dort zu verarbeiten.«
»Beeindruckend, nicht wahr? Unglaublich vor allem, wie viele Ansiedlungen und wie viele Hektar Gelände von den Archäologen immer noch nicht erschlossen wurden. Kennst du die Geschichte von Plinius dem Älteren? Er ist während des Vulkanausbruchs dem brennenden Berg furchtlos
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