Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
zu greifen, fasse aber ins Leere. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie der Mann mit zügigem, aber ruhigem Schritt nach rechts in eine dunkle Seitengasse abbiegt. Eine Sekunde lang stehe ich wie angewurzelt da und blicke ihm hinterher, während er mit meiner neuen Tasche, meinem kostbarsten Besitz, verschwindet.
Das darf der doch nicht machen, das ist doch meine«, murmele ich dumpf unter Schock, dann renne ich kopflos hinter ihm her.
Als der Dieb merkt, dass ich ihm folge, fängt er ebenfalls an zu laufen, aber er ist nicht sonderlich schnell. Ich lege noch einen Gang zu. Diebe unterschätzen die ungeahnten Kräfte einer Frau, die ihre Handtasche retten will. Als der ladro, der Langfinger, die nächste Kreuzung erreicht, habe ich ihn fast eingeholt, aber bevor ich nach ihm greifen kann, springt er auf ein Mofa, auf dem sein Komplize mit laufendem Motor an der Bordsteinkante wartet, und die beiden rasen davon. Ich bleibe zurück, und die Leere, die ich in diesem Moment fühle, hängt nur in geringem Ausmaß mit meiner verschwundenen Handtasche zusammen. Wie betäubt drehe ich mich um und trotte zurück in die verlassene Gasse. Hie und da öffnet sich eine Tür, aus der ein Gesicht hervorspäht, ein paar Menschen huschen an mir vorbei, und ich komme nicht umhin, mich zu fragen, wo all diese Leute gerade eben waren, als ich ausgeraubt wurde. Fast könnte man meinen, sie haben sich abgesprochen und sich absichtlich so lange zurückgezogen, bis dieser Verbrecher fertig war. Gerade als ich mich an einen der Neapolitaner wenden und um Hilfe bitten will, hält mit quietschenden Reifen ein Polizeiauto vor mir.
Also hat offensichtlich doch jemand den Überfall beobachtet und la polizia zu Hilfe gerufen. Oder aber die Polizei steckt hier in Neapel mit den Verbrechern unter einer Decke. Was mich, bei den kriminellen Strukturen, die laut Raffaele in Neapel vorherrschen, nicht weiter wundern würde. Raffaele. Verdammt. Er hatte doch recht. Neapel IST gefährlich. Ich habe mich einfach zu sicher gefühlt. Aber so geht es wahrscheinlich den meisten Touristen, die hier Straßenräubern zum Opfer fallen. Mein Blick wandert auf meine Hände, in denen ich immer noch mein Telefon halte. Wenigstens das ist mir geblieben. Dank Fosco, derchuld daran ist, dass ich es nicht in meiner Tasche verstaut, sondern alle zwei Sekunden einen Blick auf das Display geworfen habe.
Mittlerweile ist einer der Polizisten bei mir angelangt. Sein Kollege ist vor dem Streifenwagen stehen geblieben und lehnt sich gegen die geöffnete Tür. Er mustert mich aus der Ferne.
»Ist alles in Ordnung?«, fragt Polizist eins, während mir Polizist zwei einen anzüglichen Blick zuwirft.
»Ja«, sage ich und schlucke. Und dann breche ich doch noch in Tränen aus. »Meine Handtasche ist geklaut worden«, schluchze ich und berichte detailgetreu von dem Diebstahl. Der Polizist scheint gelangweilt. Erst als ich erzähle, dass ich dem Dieb hinterhergerannt bin, horcht er auf.
»Sie haben ihn verfolgt?«
»Ja! Und fast hätte ich ihn auch gehabt, aber er war zu schnell.«
Der Polizist packt mich grob am Arm. »Das war Ihr Glück!«, zischt er.
»Wie? Mein Glück?« Ich verstehe nicht ganz, was er meint.
»Wissen Sie, was die mit Ihnen gemacht hätten?« Er greift sich an die Kehle und macht eine eindeutige Handbewegung. »Hier in Neapel ist ein Menschenleben im Zweifel nicht sonderlich viel wert. Jedenfalls nicht so viel wie eine Handtasche oder das Risiko, erwischt zu werden. Niemals, hören Sie, niemals darf man hier einem Dieb hinterherlaufen! Neapel ist einfach zu gefährlich! Hier gibt es zu viele arme und zu viele böse Menschen und vor allem zu viele Reiche, die aus diesem Umstand ihren Vorteil ziehen wollen.«
»Und jetzt? Die Tasche war ganz neu, und ein Großteil meines Bargelds war im Seitenfach. Und mein Lipgloss, fast unbenutzt!« Der Polizist sieht mich an, als ob ich nicht mehr alle am Sträußchen hätte.
»Am besten, Sie kommen jetzt mit auf die Wache, damit wir eine Anzeige aufnehmen können.« Er begleitet mich zum Streienwagen, in den ich widerstandslos einsteige. Auf dem Rücksitz ist es unbequem, denn dort, wo andere Autos Sitze haben, befinden sich Plastikschalen, und die Türen lassen sich auch nicht von innen öffnen. Ich tippe eine SMS an Raffaele.
»Bin in Polizeiauto auf dem Weg zur Wache. Polizisten windige Typen. Wenn ich mich in drei Stunden nicht melde, bitte Alarm schlagen.« Sicher ist sicher.
Wenig später erreichen wir das
Weitere Kostenlose Bücher