Ave Maria - Roman
nein.
Herrgott, die Fragen endeten nie. Wo zum Teufel waren die Antworten? Wie wär’s zumindest mit einer einzigen Antwort als Anfang?
Sie dachte an Alex Cross - an etwas, das er in seinem Buch geschrieben hatte: »So lange nachfragen, bis du den Grundpfeiler findest, die eine Frage, welche im Herzen des Ganzen ist. Dann kannst du dich langsam wieder rückwärts herausarbeiten. Und dann findest du auch Antworten.«
Die eine Frage. Der Grundpfeiler. Was zum Teufel war das hier?
Nun, sechs Stunden später war Galletta dem Geheimnis noch keinen Schritt näher gekommen. Es war schon dunkel, als sie die letzten Gäste hinausließ. Fünf Leute hatten als Augenzeugen fünf unterschiedliche Beschreibungen der fraglichen Person am Computer abgegeben. Der Rest hatte keinen blassen Schimmer.
Keiner, mit dem Detective Galletta gesprochen hatte, war ihr auch nur annähernd verdächtig vorgekommen, aber alle sechsundzwanzig mussten genau überprüft werden. Wenn sie an all den Papierkram dachte, wurde ihr schon schlecht. Jetzt oder nie.
Niemand war überrascht, als sich herausstellte, dass Mary Smiths Kreditkarte heiß war. Sie gehörte einer achtzigjährigen alten Frau in Sherman Oaks, die den Verlust noch gar nicht bemerkt hatte, einer Mrs Debbie Green. Ansonsten war nichts mit der Kreditkarte gekauft worden. Man konnte nichts zurückverfolgen. Sie ist vorsichtig und sehr organisiert - für eine derartig Irre.
Galletta bat Brett, den Manager, um einen starken Espresso. Von hier musste sie zurück ins Büro fahren, wo sie alle Tagesereignisse durchgehen wollte, solange diese noch ganz frisch in Erinnerung waren. Ihr Nachbar hatte ihren Hund ausgeführt. Das chinesische Restaurant auf dem Weg ins Büro hatte versprochen, das Essen in zwanzig Minuten abholbereit zu haben. Das Leben war gut, oder? Nein!
Sie fragte sich, ob sie wohl vor Mitternacht zu Hause wäre und ob sie dann überhaupt schlafen könne.
Wahrscheinlich könnte sie beide Punkte mit einem Nein beantworten.
So, welche Frage musste sie nun stellen? Wo war der Grundpfeiler?
Oder hatte Alex Cross nur Scheiße geschrieben.
41
»Sie hat nie gewusst, was sie wollte, Süßer, und vielleicht ist das heute noch so. Ich habe Christine gemocht, aber sie war nie wieder dieselbe, nach dem, was auf Jamaica passiert ist. Sie muss weitermachen - und du auch.«
Sampson und ich saßen in Zinny’s, unsrer Lieblingskneipe. B. B. King’s »I Done Got Wise« ertönte aus der Musikbox. Heute Abend gab es nur Blues, jedenfalls für mich.
Was dem Laden an Charme fehlte, machte Raphael, der Barkeeper, wett, der uns namentlich kannte und sehr großzügig einschenkte. Ich betrachtete den Scotch vor mir und versuchte, mich zu erinnern, ob es mein dritter oder vierter war. Mann, war ich hundemüde. Mir fiel ein Zitat aus einem der Indiana-Jones-Filme ein: »Es sind nicht die Jahre, Liebling, sondern die gefahrenen Meilen.«
»Aber eigentlich geht’s gar nicht um Christine, John.« Ich blickte Sampson von der Seite an. »Es geht um Klein Alex. Um Ali. So nennt er sich jetzt. Er ist schon eine eigenständige Person.«
Mein Freund tätschelte meinen Kopf. »Der Punkt ist hier in deinem Schädel, Süßer. Und jetzt hör mir mal genau zu.«
Er wartete, bis ich mich aufsetzte und ihm meine volle Aufmerksamkeit widmete. Dann wanderte sein Blick zur Decke. Er schloss die Augen und grinste. »Scheiße, jetzt habe ich vergessen, was ich sagen wollte. Wirklich tragisch. Ich wollte, dass du dich danach besser fühlst.«
Unwillkürlich musste ich lachen. Sampson wusste immer,
wie er mich aufheitern konnte. So war es, seit wir zehn waren und in Washington aufwuchsen.
»Nun denn, das nächstbeste Ding.« Er bestellte uns bei Raphael noch zwei Drinks.
»Man weiß nie, was passieren wird, wenn man sich verliebt«, sagte ich, teilweise zu mir selbst. »Es gibt keine Garantie.«
»Stimmt«, meinte Sampson. »Wenn du mir gesagt hättest, dass ich mal ein Kind haben würde, hätte ich dich ausgelacht. Und jetzt sitze ich mit einem drei Monate alten Baby da. Ist schon verrückt. Und alles könnte sich jederzeit wieder ändern, einfach so.« Er schnipste laut mit den Fingern. Das Schnalzen dröhnte mir in den Ohren. Sampson hat die größten Hände, die ich je gesehen habe. Ich bin einssiebenundachtzig und nicht gerade schmächtig, aber neben ihm sehe ich mickrig aus.
»Mit Billie und mir läuft alles bestens, keine Frage«, fuhr er fort. »Das heißt aber nicht, dass nicht alles eines Tages
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