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Ave Maria - Roman

Ave Maria - Roman

Titel: Ave Maria - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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beschäftigt, Professor. Mein Gott. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit mir zu sprechen«, sagte ich.
    »Ich freue mich, wenn ich Ihnen helfen kann.« Sie bedeutete mir, mich zu setzen. »Ich habe Los Angeles nicht so aufgeregt gesehen seit - vielleicht seit Rodney Kind. Irgendwie traurig.«
    Dann hob sie die Hand und fügte schnell hinzu: »Allerdings ist es nicht das Gleiche, richtig? Aber für mich ist das alles ein wenig ungewöhnlich. Ich bin eher zuständig für Shortstorys und Essays. Ich lese keine Krimis. Naja, ich lese Walter Mosley, aber der ist ein verkappter Soziologe.«
    »Sehen Sie sich das an«, sagte ich und reichte ihr die Kopien von Mary Smiths E-Mails. »Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole - wir würden es schätzen, wenn Sie das absolut vertraulich behandeln.« Das war zu meinem Wohl und zu dem der Ermittlungen. Ich hatte keine offizielle Erlaubnis eingeholt, die E-Mails ihr oder sonst jemandem zu zeigen.

    Professor Papadakis schenkte mir aus einem alten Kaffeeautomaten eine Tasse Kaffee ein. Ich saß abwartend da, während sie die E-Mails mehrmals durchlas.
    Ihr Büro war in einer erstklassigen Lage der Universität. Von dort aus blickte man in einen Innenhof, dort standen Skulpturen in einem Garten, wo Studenten saßen und das perfekte kalifornische Wetter in vollen Zügen genossen. Die meisten Büros im Gebäude lagen zur Straße hin. Ms Papadakis machte mit ihrem antiken Schreibtisch und dem O.-Henry-Award an der Wand den Eindruck, als habe sie ihren Tribut längst entrichtet.
    Abgesehen von einem gelegentlichen »Hm« sagte sie nichts, während sie las. Schließlich schaute sie mich an. Aus ihrem Gesicht war etwas Farbe gewichen.
    »Nun«, sagte sie. »Erste Eindrücke sind wichtig. Deshalb fange ich damit an.«
    Sie nahm einen Rotstift. Ich stand auf und ging zu ihr, um ihr über die Schulter zu schauen.
    »Schauen Sie. Hier. Und hier. Die Anfänge sind aktiv. Ausdrücke wie: ›Ich bin diejenige, die dich getötet hat.‹ Und: ›Ich habe zugeschaut, wie du gestern Abend mit deinen Kindern gegessen hast.‹ Damit wird die Aufmerksamkeit erregt, zumindest ist das die Absicht.«
    »Können Sie daraus irgendwelche spezifischen Schlüsse ziehen?« Ich hatte meine eigenen, aber ich wollte ja ihre Perspektive hören. Deshalb war ich gekommen.
    Sie legte den Kopf schief. »Damit erregt der Verfasser die Aufmerksamkeit, aber es klingt nicht spontan. Eher sorgfältig durchdacht. Diese Person wählt die Worte sehr sorgfältig. Es ist auf keinen Fall ein spontaner Bewusstseinsstrom.«
    »Darf ich fragen, was Sie sonst noch sehen? Das ist äu ßerst hilfreich, Professor Papadakis.«

    »Na ja, da ist so eine Art von... innerer Distanz, sagen wir, von der eigenen Gewaltbereitschaft dieser Person.«
    Sie schaute mich an, als bitte sie um meine Zustimmung. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie üblicherweise so vorsichtig war. Sie wirkte so bodenständig und offen. »Allerdings würde ich das nicht sagen, wenn sie von den Kindern spricht.«
    »Bitte, sprechen Sie weiter«, sagte ich. »Ich bin an den Kindern interessiert. Was sehen Sie da, Professor?«
    »Sie beschreibt äußerst anschaulich, was sie getan hat. Viele einfache Sätze, zuweilen fast ein Staccato. Es könnte eine Wahl des Stils sein, aber es könnte auch eine Art Ausflucht, eine Vermeidung, eine Verdrängung sein. Das sehe ich immer wieder, wenn Autoren Angst vor ihrem Material haben. Wenn das von einer Studentin käme, würde ich ihr sagen, sie solle diese Fäden ein wenig mehr ausspinnen, sie ausrollen lassen.« Die Professorin zuckte mit den Schultern. »Selbstverständlich bin ich kein Psychiater.«
    »Doch, das sind Sie zweifellos«, widersprach ich. »Ich bin tief beeindruckt. Sie haben Klarheit hereingebracht.«
    Sie tat das Kompliment mit einer Handbewegung ab.
    »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Irgendetwas? Ehrlich gesagt, finde ich das faszinierend. Morbide Neugier, nehme ich an.«
    Ich beobachtete ihr Gesicht, als sie ihre Gedanken abwog und sich dann entschied, nicht fortzufahren.
    »Was ist?«, fragte ich. »Bitte, lassen Sie Ihrem Brainstorm freien Lauf. Keine Angst. Es gibt keine falschen Antworten.«
    Sie legte den Rotstift weg. »Nun, die Frage ist, ob diese E-Mails von einer Person oder jemandem stammen, der in eine Rolle geschlüpft ist. Anders ausgedrückt. Stammt die
Distanz, die ich sehe, aus dem Unterbewusstsein der Schreiberin, oder sind es nur gedrechselte Sätze? Genau weiß man

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