Ave Maria - Roman
Schlimmste, was ich je gesehen habe. Bei weitem, Agent Cross. Bei weitem.«
»Mir hat sie irgendwo Leid getan.« Mrs Lapierre saß neben ihrem Mann auf der Couch, die mit blauem Jeansstoff bezogen war. »Ich meine Mary. Diese arme Frau hat nie im Leben Glück gehabt. Das entschuldigt zwar nicht, was sie
getan hat, aber...« Sie schwenkte die Hand vorm Gesicht, statt den Gedanken zu beenden.
»Sie haben sie gekannt, Mrs Lapierre?«
»So wie man sich eben hier kennt«, sagte sie. »In dieser Gegend wird Nachbarschaft geschätzt. Wir hängen alle voneinander ab.«
»Was können Sie mir über Mary sagen, ehe das alles passiert ist?«, fragte ich beide.
Claude Lapierre begann. »Nettes Mädchen. Still, höflich, liebte es, Boot zu fahren. Auf dem Lake Memphremagog. Viel gibt’s nicht zu erzählen. Als sie in der Highschool war, hat sie in einem Restaurant gearbeitet. Hat mir immer das Frühstück serviert. Wie ich schon sagte, immer so sehr still. Alle waren ziemlich überrascht, als sie schwanger wurde.«
»Und noch überraschter, als der Vater bei ihr blieb«, sagte Mrs Lapierre.
»Jedenfalls für eine Weile«, fügte ihr Mann schnell hinzu.
»Ich nehme an, das war Mr Beaulac?«
Beide nickten.
»Er war zehn Jahre älter als sie. Sie war erst siebzehn. Aber sie haben es versucht. Sie haben ihr Bestes gegeben. Hatten sogar noch ein zweites Kind.«
»Ashley«, sagte Mrs Lapierre.
»Niemand war wirklich überrascht, als er abgehauen ist. Ich hätte es eigentlich schon viel früher erwartet.«
»George Beaulac war ein richtiger Tunichtgut«, sagte Mrs Lapierre. »Hat ständig Drogen genommen.«
»Wissen Sie, was aus ihm geworden ist? Hat er Mary oder die Kinder mal besucht?«
»Weiß ich nicht«, sagte Claude. »Aber ich bezweifle es. Er war ein Tunichtgut.«
»Nun, wir müssen ihn finden«, sagte ich leise, mehr für
mich als für die beiden. »Ich muss wirklich herausfinden, wo sich George Beaulac jetzt aufhält.«
»Bestimmt irgendwo in der Gosse«, erklärte Mrs Lapierre.
109
Danach machte ich mir nicht mehr die Mühe, etwas aufzuschreiben. Was nicht bereits aufgeschrieben war, würde ich nicht brauchen. Aus der Küche ertönte ein Summen. Schließlich fragte ich Mrs Lapierre, was das sei. Ich hätte es nie erraten: Sie machte Rehtrockenfleisch in einem Dehydrator.
»Wo waren Marys Eltern während dieser Zeit?«, fragte ich, um wieder auf sachdienlichere Themen zu kommen.
Wieder schüttelte Mrs Lapierre den Kopf. Sie schenkte mir Kaffee nach, während ihr Mann weitersprach.
»Rita ist gestorben, als Mary ungefähr fünf war, schätze ich. Ted hat sie mehr oder weniger allein großgezogen, aber viel Mühe hat er sich nicht gegeben. Aber nichts Illegales, es war nur traurig. Und dann ist er auch gestorben. Ich glaube, in dem Jahr, als Brendan geboren wurde.«
»Er hat wie ein Schlot geraucht«, sagte Madeline. »Lungenkrebs hat ihn unter die Erde gebracht. Dieses arme Mädchen hatte nie Glück.
Nachdem George Beaulac abgehauen war, verliebte sich Mary in einen anderen Mann aus dem Ort, ein Aushilfsmechaniker, namens John Constantine.
Er hat sie schon betrogen, als sie gerade schwanger geworden war«, sagte Madelaine. »Es war kein großes Geheimnis. Als Adam sechs Monate alt war, war auch John für immer verduftet.«
Jetzt ergriff wieder Claude das Wort. »Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es danach mit ihr wirklich steil bergab ging, aber wer weiß das schon. Wenn Sie jemanden
eine Zeit lang nicht sehen, nehmen Sie an, dass er beschäftigt ist oder so. Und dann eines schönen Tages - peng! Ja, so muss es gewesen sein. Sie hat durchgedreht. Für uns kam das völlig überraschend, aber das war es wohl nicht. Ich bin jetzt sicher, dass es sich über längere Zeit aufgebaut hatte.«
Ich trank einen Schluck Kaffee und aß einen höflichen Bissen von einem Muffin. »Ich würde gern zu dem Tag zurückgehen, an dem sich die Morde ereignet haben. Was hat Mary gesagt, als man sie verhaftet hat, Sheriff?«
»Da sind nur Stücke, nur meine Erinnerungen. Nach der Verhaftung haben wir aus Mary keinen Piep über die Morde herausbekommen.«
»Alles, was Sie mir sagen können, würde helfen. Denken Sie nach, Sheriff.«
Madeline holte tief Luft und legte ihre Hand auf die ihres Mannes auf einem flachen Kissen. Beide wirkten wie rechtschaffene Farmer. So ähnlich hatte auch Mary auf mich gelegentlich gewirkt.
»Es hat so ausgesehen, als wollte sie an dem Tag ein Picknick machen. Sie ist in den
Weitere Kostenlose Bücher